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Marburg als Steueroase ? – Großunternehmen behalten fette Gewinne

Marburg 10.12.2012 /3.4.2013 (red>) Per heutigem Datum greift die Marburger OrtsPresse das Thema Gewerbesteuer auf. Daher präsentieren wir den Gastbeitrag dazu in das Marburger. vom 10. Dezember 2012 erneut. Am 2. November hat Oberbürgermeister und Kämmerer Egon Vaupel den Haushalts-planentwurf für das Jahr 2013 dem Stadtparlament vorgelegt. Dazu gehört der Finanzplan und das Investitionsprogramm für die Haushaltsjahre 2012 bis 2016 als Eckdaten einer mittelfristigen Finanzplanung. Den Stadtverordneten, damit zugleich der Bürgerschaft der Stadt, steht die Erörterung und Diskussion des Haushaltes samt seiner Verabschiedung noch bevor. Zugleich wurden in der zurückliegenden Stadtverordnetensitzung bereits Gebühren-erhöhungen für das Parken, Begräbnisse in Marburg und die Nutzung der Schwimmbäder beschlossen. Der Stadt(kasse) sollen damit deutlich höhere Einnahmen zufließen – per Umlage auf eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern. Zugleich wurde der Vorschlag und Antrag auf Anhebung des Hebesatzes der Gewerbesteuer von Kämmerer Vaupel und der Rot-Grünen Mehrheit abgelehnt. So ist es ausgesprochen interessant und grundlegend hier einen Gastbeitrag von Nico Biver zu veröffentlichen. Darin wird tiefschürfend, kenntnisreich, umfangreich recherchiert und faktenorientiert zur Marburger Situation dieses im sehr zutreffenden Sinn ergiebige Thema angegangen:

„Marburg hat kein Einnahmeproblem“ hatte Kämmerer und Oberbürgermeister Egon Vaupel im September verkündet als die Marburger Linke beantragt hatte, Marburger Unternehmen, die Gewinne erzielen, stärker zur Kasse zu bitten. Der Hessische Landesrechnungshof hat darauf hingewiesen, dass Marburg letztes Jahr 12.870.869 Euro mehr an Steuern hätte einnehmen können, wenn es den Gewerbesteuerhebesatz auf das Niveau Hanaus (430 Punkte) angehoben hätte.
Der Vorsitzende des Haupt- und Finanzausschusses der Stadtverordnetenversammlung Roger Pfahl (CDU) bemerkte zu dem diesbezüglichen Antrag der Linken, wer die Gewerbesteuer bei einem ausgeglichenen Haushalt erhöhen wolle, „dem fehlt es an gesundem Menschenverstand.“

Fragt sich nur, warum der Haushalt ausgeglichen ist. Ein Vergleich der Haushalte der Städte zwischen 50.000 und 100.000 Einwohnern in Hessen durch den Hessischen Rechnungshof hat gezeigt, dass in Marburg bei den Ausgaben manche Wünsche offen bleiben. Von den sieben sogenannten ‚Sonderstatusstädten‘ gibt Marburg pro Einwohner am wenigsten für Personal aus. Auch bei den Ausgaben für Schulen ist Marburg Letzte. Für Sport, Kultur und freiwillige Leistungen gibt nur Fulda weniger Geld aus, und selbst bei der Kinderbetreuung liegt der gefühlte Spitzenreiter Marburg lediglich auf dem fünften Platz.

Textkasten Was ist die GewerbesteuerVerweigerung in Wohnungspolitik
Marburg ‚glänzt’ außerdem durch jahrelange Untätigkeit in der Wohnungspolitik, die dem freien Markt der Rothers, Schreyers und Pohls überlassen wurde – mit dem Ergebnis, dass die Marburger Mieten mittlerweile die Frankfurter übersteigen.
Rot-Grün besitzt auch großes Talent, kostenträchtige Aufgaben aus dem Haushalt an diverse städtische Unternehmen auszulagern. Das Parkhaus am Pilgrimstein, dessen Sanierung 4 Millionen kostete, das Softwarecenter mit jährlich 200.000 Euro Defizit und das Bahnhof-parkhaus, das für mehrere Millionen ausgebaut werden soll, wurden den Stadtwerken aufgezwungen. Die Strom- und Gasbezieher zahlen deshalb mindestens 200 Euro jährlich zuviel, um diese Kosten und das Defizit beim Busverkehr zu finanzieren. Dem Dienstleistungs-betrieb Marburg (DBM) wurde die Kanalisation mitsamt 30 Millionen Euro Schulden aufgehalst.

Während die Bürger mit fehlenden Dienstleistungen der Stadt und überhöhten Gebühren für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen, erfreuen sich die Marburger Unternehmer besonderer Zuwendung, obwohl Rot-Grün in Marburg nicht müde wird zu behaupten, auch sie wären für eine UmFairTeilung von oben nach unten.

Bei der Einbringung des Haushaltes Ende Oktober verwies Vaupel stolz darauf, dass Marburg den niedrigsten Gewerbesteuerhebesatz aller hessischen Städte über 50.000 Einwohner habe. Und der Fraktionsvorsitzende der CDU Philipp Stompfe forderte ihn auf, damit offensiv um Investoren zu werben.

Ist Marburg das Liechtenstein Hessens ?

2008, als die schwarz-rote Unternehmenssteuerreform den Unternehmen bereits große Steuervorteile verschafft hatte, kündigte Vaupel „ein Signal an die Wirtschaft“ an, das sich als Absenkung des Hebesatzes von 400 auf 370 Punkte entpuppte. Mittlerweile sind sogar die Reichenhochburg Bad Homburg mit einer Erhöhung auf 385 Punkte und die Nachbargemeinde Lahntal mit 380 Punkten an Marburg vorbeigezogen. Bundesweit haben nur 12 von 192 Städten über 50.000 Einwohner einen niedrigeren Gewerbesteuerhebesatz als Marburg. Im Durchschnitt dieser Städte liegt er bei 417 Punkten.

Ist Marburg so unattraktiv, dass es sich so billig feil bieten muss? Halten denn die gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die Schullandschaft, die Universität, die Kinderbetreuungsmöglichkeiten und alles andere, was der Oberbürgermeister als Standortfaktoren aufzählt, den Vergleich mit anderen Städten nicht aus? Und wenn denn tatsächlich der Gewerbesteuerhebesatz eine wichtige Rolle für Investitionsentscheidungen spielen sollte, wäre das dann nicht ein sehr unsolidarisches, bzw. schäbiges Verhalten, mit Steuerdumping anderen Kommunen Investoren abzujagen, und sich als hessisches Liechtenstein zu profilieren?

Laut OB Vaupel müsse man außerdem berücksichtigen, dass viele Unternehmen in Marburg hohe Investitionen und neue Arbeitsplätze planen würden. Und Philipp Stompfe (CDU) behauptete gar, ein höherer Hebesatz „schadet Marburg.“

Das klingt, als würde den Unternehmen durch die Gewerbesteuer Geld für Investitionen entzogen. Investitionen werden nicht aus den Gewinnen bezahlt. Die Gewinne sind vielmehr der Überschuss, der nach Abzug der Ausgaben (auch für Investitionen) von den Einnahmen übrig bleibt.

Exkurs mit harten Fakten zum Profit-Mekka Marburg

In Melbourne, Basel, München und in der Rosenstraße haben die Manager sich vermutlich nicht mehr eingekriegt, als sie 2008 erfahren haben, dass ihre Niederlassungen in Marburg weniger Gewerbesteuer zahlen müssen. Die mehr oder weniger dezenten Hinweise darauf, dass man auch anderswo investieren könne, hatten offensichtlich Wirkung gezeigt. Tatsächlich wäre aber eine Abwendung von Marburg nicht im Sinne der Aktionäre von CSL, Novartis, Siemens, denn sie machen in Marburg so fette Gewinne, dass auch eine höhere Gewerbesteuer kaum ins Gewicht fallen würde. Für Marburg ist der Einnahmeverlust jedoch erheblich. Von 2008 bis 2012 hat die Stadt durch die Senkung des Hebesatzes auf Einnahmen von über 32 Millionen Euro verzichtet.

Die Behring-Nachfolgefirmen in der Marbach und in Michelbach gehören zur Pharmabranche, die für ihre gigantischen Gewinnmargen berüchtigt ist, weil nicht nur in Deutschland sondern auch anderswo sie den Krankenkassen die Preise diktieren können.

Das ist der Grund, warum Marburg – etwa im Unterschied zu Gießen – trotz eines niedrigen Hebesatzes ein überdurchschnittlich hohes Gewerbesteueraufkommen hat. Es ist zudem relativ stabil, da der Bedarf an Arzneien fast konjunkturunabhängig ist.

CSL Behring machte im letzten Jahr 300 Millionen Euro Gewinn bei einem Umsatz von 1,15 Mrd. Euro. 148.514 Euro pro Kopf der 2.020 Beschäftigten flossen an die australischen Aktionäre. Die Umsatzrendite von 26,1 Prozent (2010: 30 Prozent; 2009: 33 Prozent) ist selbst für Pharmafirmen enorm und lag in den letzten Jahren meist über der des Gesamtkonzerns. Die Pharmakonzerne Sanofi und Novartis erzielten ’nur‘ 15 bzw. 16 Prozent. Autofirmen wie Daimler und BMW erzielen Renditen von 6 bis 7 Prozent, im Durchschnitt der Wirtschaft liegt sie bei 3 Prozent.

Verglichen mit den Gewinnen machen die hoch gelobten Investitionen von 180 Millionen Euro in fünf Jahren (also 36 Millionen Euro pro Jahr), die CSL in den nächsten 5 Jahren tätigen will, einen bescheidenen Eindruck. Sie bewegen sich im Rahmen dessen, was der Konzern in den vergangenen Jahren investiert hat. Und Geschäftsführer Dr. Roland Martin ist sich noch nicht mal sicher, ob sie zu mehr Arbeitsplätzen führen werden (vgl. OP, 24.8.2012). Er hatte zudem erklärt, dass die Investitionsentscheidung nicht selbstverständlich sei: „Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir hier in Deutschland weit weniger Möglichkeiten bei der öffentlichen Förderung oder steuerlicher Begünstigung von privaten Investitionen.“ Diese Ansicht vertrat auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Stompfe in der Stadtverordnetenversammlung vom November 2012.

Beim Spatentisch am 11. September 2012 machte Martin gegenüber Vaupel auch klar, dass auf das Nachdenken über eine Erhöhung der Gewerbesteuer, das der Kämmerer angekündigt hatte, keine Taten folgen dürfen:

„Bei unseren Investitionen möchten wir darauf vertrauen können, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Marburg, die auch zur Entscheidung der Produktionserweiterung beigetragen haben, bestehen bleiben und weiter verbessert werden können“. Die politisch Verantwortlichen sollten nicht nur den nächsten Haushalt sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Marburg im Blick haben.

Ein Blick in den Geschäftsbericht des australischen Mutterkonzerns CSL Ltd. hätte aber auch den Verantwortlichen in Marburg gezeigt, dass von den Nachteilen des Marburger Standorts keine Spur zu finden ist. Im Gegenteil.

In den Jahren 2007 bis 2010 lag die Umsatzrendite nach Steuern 4 bis 9 Prozent über der des restlichen Konzerns. Der Steuern auf Einkommen und  Ertrag beliefen sich durchschnittlich auf 14,2 Prozent des Gewinns in Marburg aber auf 26,9 Prozent in den anderen Standorten von CSL (eigene Berechnungen nach: CSL Limited Annual Report 2011-2012, S.4; und Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.07.2010 bis zum 30.06.2011 der CSL Behring GmbH Marburg/Lahn; www.bundesanzeiger.de).

Die Reihe der Profiteure ließe sich fortsetzen: Novartis Vaccines and Diagnostics GmbH mit etwa 1.200 Beschäftigten, das zum gleichnamigen schweizerischen Pharmariesen gehört, der 1996 aus Sandoz und Ciba-Geigy entstand, veröffentlicht keine Zahlen mehr. Aber 2007 und 2008 erzielte das Unternehmen in Marburg noch Gewinne von 238 und 152 Millionen Euro (Umsatzrenditen von 38,0 und 60,9 Prozent). Diese dürften 2009/2010 durch den Absatz der Schweinegrippe-Impfstoffe explodiert sein. Siemens Healthcare Diagnostics ist etwas bescheidener. Mit 1.302 Beschäftigten stand 2011 ein Gewinn von 60,9 Millionen Euro zu Buche, eine Umsatzrendite von 9,2 Prozent.

Da kann die Deutsche Vermögensberatung Holding der Pohl-Familie gut mithalten. 2011 betrug der Überschuss 263,0 Millionen Euro bei einem Umsatz von 1,1 Milliarden. Allerdings zahlt die DVAG den Großteil ihrer Gewerbesteuer am Hauptsitz in Frankfurt. Gerade mal 4,5  Millionen Euro flossen 2010 nach eigenen Angaben der DVAG als Gewerbesteuer an die Stadt Marburg.

Wieviel Gewerbesteuer die anderen zahlen, bleibt ein Steuergeheimnis. Selbst eine Aufschlüsselung des Gewerbesteueraufkommens nach Branchen, wie sie die Marburger Linke gefordert hat, hält Kämmerer Vaupel für gesetzeswidrig. Angesichts der benannten enormen Gewinne ist zu vermuten, dass CSL und Novartis die Plätze ganz vorne belegen.

Würde Marburg den Gewerbesteuerhebesatz auf 430 Punkte erhöhen, könnte CSL zum Beispiel nur noch 255 statt 260 Millionen Euro nach Australien überweisen. Ein Verlust, den die Aktionäre sicherlich verschmerzen können.

Nico Biver ist ehrenamtlicher Stadtrat im Magistrat der Stadt Marburg für die Marburger Linke

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