Staatstheater Kassel: „Carmen“ ab 31. März zurück auf dem Spielplan

24.3.2024 (pm/red) Nach mehrmonatiger Pause kehrt die beliebte Opernproduktion wieder auf den Spielplan zurück: Georges Bizets „Carmen“ in der Inszenierung von Florian Lutz ist ab Ostersonntag, 31. März, wieder im Opernhaus, in der Raumbühne ANTIPOLIS …

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Mittelhessische Initiative will Neonazistrukturen aufdecken

Waelder.Wiesen.NeoNazisMarburg 2.6.2013 (pm/red) Mit rund tausend in der Region Lumdatal verteilten Texten machte im Januar eine neu gegründete Initiative ‚Wälder. Wiesen. Neonazis.‘ (WWNN) auf sich aufmerksam und ist zudem mit Webseiten präsent. Der verteilte Text sollte einen Einblick in die über 20 Jahre gewachsene Neonaziszene in der Region Lumdatal zwischen Marburg und Gießen geben. Recherche-Informationen werden als ‚Schlüssel‘ betrachtet und sind weiter unten zu finden —>und auf deren Webseiten einzusehen.
WWNN begreift sich als ein Bündnis aus antifaschistischen Gruppen, die mit Aktionen auf das Neonaziproblem in vielen hessischen Regionen reagieren will, lässt sich der Pressemitteilung entnehmen. Die Pressesprecherin Anna Marke sagt dazu: „Neonazis sind im ländlichen Raum breit akzeptiert und bekommen fast nie Widerstand zu spüren. Beispiele wie die Kameradschaft ‚Berserker Kirtorf‘ haben in den 2000er Jahren gezeigt wo das hinführt. Dort konnte sich eine international vernetzte Rechtsrockszene in einem Dorf versammeln, das jahrzehntelang nicht ansatzweise daran dachte dies als etwas Schlechtes zu empfinden.“

Die Kampagne WWNN will nicht nur die Strukturen benennen, in denen sich Neonazis bewegen. Mit sogenannten Outing Aktionen sollen Neonazis selbst vereinzelt und sichtbar gemacht werden.

„Nicht erst seit den NSU Morden ist klar: Neonazis sind gefährlich und Morden – Seit 1990 sind fast 200 Menschen umgebracht worden! Neonazis zu beobachten und ihre Machenschaften zu veröffentlichen ist ein notwendiges Übel“, lautet die Einschätzung.

Die Kampagne kritisiert ebenfalls, dass Neonazis auf Dörfern und kleinen Städten umfassenden Rückhalt haben und bei vielen Bewohnern Abwehrmechanismen greifen, wenn dies thematisiert wird. Nachstehend veröffentlichen wir die übermittelten ausführlichen Rechercheinformationen:

Zur neonazistischen Szene im Ostteil Landkreis Giessen

Seit einiger Zeit macht eine Gruppe Neonazis rund um Allendorf/Lumda, Reiskirchen, Rabenau und Grünberg von sich reden. Seit die Gruppe Regionalpolitiker angegangen hat, wird dies auch in der Region thematisiert. Nach den jüngsten Vorfällen kam es zu zwei Mahnwachen gegen Rechts. Ein Bewusstsein, dass dem rassistisch motivierten Treiben zu lange zugeschaut wurde, bildet sich langsam. Die Tatsache, dass die Neonazis zwar die offensichtliche Ausprägung sind, die Gründe aber nicht alleine bei ihnen, sondern in der Akzeptanz und der Toleranz ihres Weltbildes zu verordnen sind, dämmert ebenfalls einigen.

Im Folgenden soll die neonazistische Szene im Ostteil des Landkreis Giessen aufgezeigt werden und anhand der Dokumentation von einigen Gruppen und Ereignissen der letzten ca. 20 Jahre deutlich machen, dass es weder ein neues Phänomen ist noch dass Schweigen und Verharmlosen der richtige Weg sein kann, diesem zu begegnen. Zum zwanzigsten Jahrestag des Brandanschlags von Solingen soll aufgezeigt werden, dass es seitdem ähnlich motivierte Anschläge und Übergriffe in der Region gab und dass es bis heute immer wieder Versuche gab bzw. gibt, die regionalen Neonazis zu organisieren und ihnen Erlebnisswelten zu bieten.

29.05.1993 Solingen – ein Anschlag der für die Zeit und die Stimmungslage steht Anfang der 90er Jahre reihten sich bundesweit Brandanschläge und An- und Übergriffe auf Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund aneinander. Der Brandanschlag von Solingen, bei dem fünf Menschen starben, wurde – wie Rostock-Lichtenhagen – zum Synonym für neonazistische Gewalt im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Stimmungslage. Von Politik und Presse wurden Vorurteile geschürt und der angebliche ‚Asylmissbrauch‘ und die vermeintliche ‚Überfremdung‘ prägten die Diskussionen, welche in der faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl gipfelten.

Die rassistische Stimmung wurde durch Überflutungs-Metaphern und ‚das Boot ist voll‘- Schlagzeilen von Politik und Medien angeheizt. Neonazis sahen sich in dieser Stimmung lediglich als Vollstrecker des vermeintlichen oder tatsächlichen ‚Volkswillen‘. Da ihr Handeln kaum unterbunden oder sanktioniert wurde, wuchs deren Selbstbewusstsein. Der deutsche Mob tat sein übriges, indem er die Neonazis anfeuerte oder gleich selbst mitmachte.

Zu dieser Zeit ließ sich beobachten, was auch heute noch in Studien immer wieder herausgearbeitet wird: der Rassismus wurzelt in der Mitte der Gesellschaft und solange dies nicht erkannt, hinterfragt und bekämpft wird, werden Neonazis immer Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft finden.

So waren es auch damals rassistische Stereotype gepaart mit der medialen und politischen Hetze, die einen Nährboden generierten, auf dem neonazistische Gewalttaten kaum verurteilt werden konnten. Demnach war das Entsetzen über diese Taten meist nur von Lippenbekenntnissen und Phrasen geprägt, eine ernsthafte Auseinandersetzung fand nie statt.

Anfang der 90er Jahre – Hungen, Grünberg, Reiskirchen im bundesweiten Trend
Auch in Mittelhessen kam es zu Übergriffen und Angriffen. Innerhalb weniger Monaten eskalierte die gesamtgesellschaftliche Stimmung und gipfelte in Schüssen auf das Asylbewerber*innenheim und einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Hungen, in dem ebenfalls Asylsuchende untergebracht waren. Zuvor war in Hungen ein jüdisches Denkmal geschändet und auf dem jüdischen Friedhof randaliert worden.

In Grünberg und Reiskirchen zogen Deutsche mit ausländerfeindlichen Parolen zu den Heimen der Asylsuchenden und hinterließen gesprühte Parolen wie »Ausländer raus!«.
Organisierte Szene vor Ort 1 – 1990–2002: sleipnir-shop und (verbotene) Parteien
Einer der damals aktiven Neonazis – Sascha Graf – war schon Anfang der 90er Jahre kein unbeschriebenes Blatt mehr in der militanten Naziszene. Im Alter von 18 Jahren hatte er Kontakte zur FAP (Freiheitliche Arbeiterpartei) und auch zur NF (Nationalistische Front) – beides neofaschistische Organisationen, die Mitte der 90er Jahre verboten wurden. Zu dieser Zeit bezeichnete er sich als ‚Ortsgruppenführer‘ einer Gruppe von rund einem Dutzend Grünberger Naziskinheads.

Im Januar 1993 wurde er wegen eines gewalttätigen Übergriffes auf Flüchtlinge in Atzenhain bei Grünberg verurteilt. Einige weitere Gewalttaten mit faschistischem Hintergrund folgten. Sein Werdegang in der Neonaziszene ging unvermittelt weiter. So betrieb er zusammen mit seiner langjährigen Freundin Yvonne Leipert den Online-Versandhandel sleipnir-shop.de. Der „Shop“ war als Versandhandel und Einzelhandel mit Bekleidung und Freizeitbedarf seit 2000 beim Gewerbeamt der Stadt Grünberg angemeldet. 2001 wurde das Gewerbe auf Verkauf und Versand von Tonträgern erweitert.

Hier gab es alles für das rechte Klientel. Von Nazimusik über Elektroschocker bis hin zu Nachtsichtgeräten, Schreckschusswaffen und Bekleidung mit eindeutigen Aufdrucken. 2001 wurde dieser Versand im Verfassungsschutzbericht des Landes Hessen als einer der drei ‚Szene-Läden‘ in Hessen erwähnt.

Auch verkehrte Graf regelmäßig in den Räumlichkeiten der Kameradschaft ‚Berserker Kirtorf‘ und soll am Aufbau der Kirtorfer Strukturen maßgeblich beteiligt gewesen sein. Im Beiheft einer CD der Nazi-Band ‚Gegenschlag‘, eine zu dieser Zeit aktivsten deutschen Rechtsrock-Gruppen, wird er namentlich gegrüßt. Wie in diesen Strukturen üblich ging der Versand im Turnus an eine andere Person über.

Organisierte Szene vor Ort 2 – 2003-2009: Rachezug, Blood & Honour, Geburtstagsparty
Rachezug war eine Rechtsrockband aus Hungen, Rabenau und Usingen. Ab 2003 traten sie bei Skinhead-Konzerten auf. Die erste CD erschien 2006. Hierauf finden sich NS-verherrlichende, antisemitische Texte – die keinen Zweifel an der Gesinnung der Band offen lassen.
Eines der Konzerte von Rachezug fand in der Nähe von Grünberg statt und erregte aufgrund eines szeneinternen Streits Aufsehen. Dabei ging es um das Vorrecht, Rechtsrockkonzerte in der Region zu machen.

BERSERKER KIRTORF
Die Berserker Kirtorf galten noch vor wenigen Jahren als die aktivste rechte Skinhead-Gruppierung in Hessen. Sie betrieben mindestens seit 2002 einen der sichersten Veranstaltungsorte für Neonazikonzerte in ganz Deutschland und hatten in ihrer Hochphase 2004 mehr als 40 Mitglieder
GESCHÄFTSPRAXIS:
Bei dem Sleipnir Shop verhält es sich wie bei vielen anderen Unternehmen. Die Namen der Verantwortlichen der Unternehmen (so zum Beispiel Whitenoise Records, Get your Kick-Versand, Streetfight Versand oder eben Sleipnir Shop) oder deren Internetseiten tauschen sich immer wieder aus. Ein Beispiel: die Person, die sich lange Zeit für den Internetauftritt des Hauptunternehmens Whitenoise Records verantwortlich zeigte, erscheint heute als Rechteinhaber des Bekleidungslabels Subcultural Gangs, während Whitenoise Records zu einer weiteren Person wechselte und schließlich zu einer Adresse im saarländischen Bexbach verlagert wurde, bei welcher zuvor schon der Streetfight Versand untergekommen war. Ob dieses Wechselspiel Spuren verwischen soll oder schlicht und einfach zum Geschäft gehört, bei dem abwechselnd in eigene und gemeinsame Taschen gewirtschaftet wird, bleibt unergründbar.

Die Division 28 (die in vielen Bundesländern existierte und das Blood & Honour-Erbe für sich beanspruchte) überfiel das Konzert. Zunächst – so erzählt ein Aussteiger – habe sie den Ordnerdienst zusammengeschlagen, um sich dann den verängstigten jungen Veranstalter vorzuknöpfen und diesem nachdrücklich klar zu machen, dass ohne ihre Erlaubnis keine Szenekonzerte in Hessen durchgeführt werden dürften. Dann bedienten sie sich umfassend an den Getränkevorräten, natürlich ohne zu bezahlen.

Dieses Vorgehen – welches erst einmal an Motorradclubs erinnert – ist kein Einzelfall und gerade in der Zeit nach dem Blood & Honour-Verbot gab es mehrmals Streit um dessen „Erbe“. Dies ist jedoch nicht die einzige Verknüpfung zu Blood & Honour in der Region. So tauchten ganze Bilderserien des ehemaligen Sängers von Rachezug – Andi Rothe (Hungen) – auf, auf denen er auf diversen Blood & Honour-Konzerten zu sehen ist. Auch auf einer Art Familienbild der Blood & Honour-Sektion Südhessen ist er zu sehen.

Dass die Blood & Honour-Strukturen nach dem Verbot noch weiter existierten und das Rothe weiter darin verflochten war, kam vor Gericht zur Sprache. Ihm wurde, wie auch 3 anderen Personen aus Hessen, die Weiterführung der Organisation angelastet. So sollen sie beispielsweise nach dem Besuch bei einer Blood & Honour-Veranstalltung in England eine erhebliche Menge T-Shirts eingeführt haben, die zwar nicht explizit Blood & Honour aufgedruckt hatten, aber dies in verklausulierter Form ganz klar übermitteln sollten.

Ob Rothes Stellenwert in der regionalen Szene mit B&H oder Rachezug zu tun hat, ist nicht klar. Dass dieser aber vorhanden ist, zeigte eine Geburtstagsfeier von Rothe. Diese wurde zum Schaulaufen für die hiesige Neonaziszene. NPD-Funktionäre standen mit Skinheads der FN Lumdatal am Tisch, der Sänger der Grauzonenband ‚Extrem Unangenehm‘ Arm in Arm mit einem Nazi der Berserker Kirtorf…man kennt sich eben.

Sozialisierung in rechten Erlebniswelten
Für Neonazis stellte es bisher kaum ein Problem dar, sich auch öffentlich zu ihrem Weltbild zu bekennen. Konsequenzen aus der Zivilgesellschaft hatten sie offensichtlich nicht zu fürchten. So waren in den letzten Jahren die Jugendzentren in Kesselbach (Rabenau), Nordeck und Climbach (beide Allendorf) zeitweise Treffpunkte für Cliquen rechter Jugendlicher. Auch bei Kirmesbesuchenwurden die Neonazis nicht störend wahrgenommen, egal ob sie mit T-Shirts von Rechtsrockbands oder von Combat 18 aufliefen.

Letzteres gilt als der bewaffnete Arm des Blood & Honour-Netzwerks. Ebenso wenig scheint es bisher einen Tabubruch darzustellen, sich auch bei der Freiwilligen Feuerwehr oder in Vereinen zu engagieren. In der Bildergalerie des Neonazi  Marcel Bender aus Rabenau-Rüddingshausen fanden sich neben Bildern mit anderen Neonazis und einschlägiger Bekleidung auch ein Gruppenbild der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr wieder, auf dem er verlinkt war. Wie gefestigt sein Weltbild ist, lässt die Teilnahme an rechten Aufmärschen erahnen.

Ein weiterer Neonazi, Jonas Schnick aus Grünberg – dieser hat die Seite der Freien Nationalisten Lumdatal (unter anderem) betreut – wird in dem Prospekt „Brandaktuell“ der Feuerwehr Grünberg mit seiner ganzen Familie vorgestellt und es wird berichtet, dass sich die ganze Familie bei der Feuerwehr und beim Roten Kreuz engagiert. Auch hier lässt sich eine Zugehörigkeit zur Szene feststellen. Neben regelmäßigen Besuchen mit Gleichgesinnten der ‚Onkelz-Partys‘ im Irish-Rover in Wiseck, hat er 2010 an einem Naziaufmarsch in Wiesbaden teilgenommen.

Rechte Erlebniswelt 1 – NSBM in Reiskirchen 2003 -2005
Ein anderes Spektrum wurde um Reiskirchen zeitweise bedient. Black-Metal-Hörer*innen wurden Konzerte ermöglicht, bei denen Bands mit klar neonazistisch Bezug auftraten. Als Veranstalter von beispielsweise zwei Konzerte in Reiskirchen-Lindenstruth am 18. Dezember  2004 und am 17. März 2005 trat der Betreiber des Labels „Warfront Productions“ auf, der eindeutig der neonazistisch geprägten Black Metal-Szene zuzuordnen ist. Seit Mitte 2003 betreibt Jens Schomber – der damals in Reiskirchen bei Giessen wohnte und mittlerweile nach Österreich umgezogen ist – das Label und den Vertrieb ‚Warfront Productions‘ sowie ein Aufnahme-Studio, in dem u.a. das Demo von ‚Hati‘, einem Sideprojekt der lokalen Szeneband ‚Irmingot‘ (LDK) produziert wurde. Über die Homepage des Labels vertrieb Schomber fast ausschließlich Tonträger und Merchandise von Bands mit NS-Bezug. Diese tragen so illustre Namen wie ‚Aryan Blood‘, ‚Ad Hominem‘ oder ‚Totenburg‘.

Neben den oben genannten Artikeln gehörten aber auch ‚Reichskriegs- und ‚Schwarze Sonne‘ – Fahnen zu seinem Verkaufsrepertoire. Der Labelname wurde auf der dazugehörigen Homepage ästhetisch durch Bilder aus beiden Weltkriegen sowie Lebens- und Totenrune und einer überdimensionierten ‚Schwarzen Sonne‘ untermauert.

Von der Homepage des Reiskirchner Black Metalers bestanden Links zu eindeutig rechtsextremen Seiten wie dem Fanzine ‚Der Förderturm‘, einem Projekt aus dem Spektrum der ‚Freien Kameradschaften‘. Diese verfolgten mit ihrem Magazin das Ziel, eine Schnittstelle zwischen allen extrem rechten Subkulturen von Rechts-Rock über die rechte Dark Wave-Szene bis hin zum Black Metal mit NS-Bezug herzustellen. Auf der genannten Seite wurde unter anderem zur Demonstration des neonazistischen ‚Aktionsbündnis Mittelhessen‘ in Gladenbach am 17. Juli 2004 aufgerufen. Ein weiterer Link führte auf die Internetpräsenz eines Versandes aus Mücke, ‚footballfans-hessen.de‘, auf welcher „der gemeine Neonazi alles findet- von Rechts-Rock-Tonträgern über Buttons und Fahnen bis zur Nazi-Modetrendmarke Thor Steinar was das rechtsextreme Herz begehrt.“

NPD
Die NPD spielt in der Region eigentlich keine große Rolle, einige Neonazis sind zwar Mitglieder in der Partei, aber eigentlich ist diese meist nur Materiallieferant. So gab es in den letzten Jahren nur zwei Frauen aus der Region, die sich ernsthaft in der Partei engagiert haben.

Rechte Erlebniswelten: Jungs fürs Grobe, Grauzone 2005 –
Als Burschenschaft bezeichnete sich eine größere Clique aus Rabenau, Grünberg und Allendorf. Nachdem sie mit Neonazi-Vorwürfen konfrontiert wurden, erklärten sie, dass man die Politik doch außen vor lassen sollte. Aber wie soll das gehen, wenn mit Sören Groll, der als Schlagzeuger in einer Rechtsrockband (Rachezug) gespielt hat, Martha Bettermann im Landesvorstand der NPD-Jugendorganisation JN aktiv war und ein weiteres Mitglied wegen eines rassistischen Übergriffs nach einer Kirmesveranstaltung vor Gericht stand. Von den Nazisshirts im Kleiderschrank ganz zu schweigen.

Die Gruppe hat sich selbst in ein rechtes Licht gerückt. Neben der eindeutigen Bekleidung werden übermäßiger Alkoholkonsum sowie Schlägereien und Gewaltexzesse glorifiziert. Ein Weltbild, das auf dem Recht des Stärkeren beruht und Minderheiten ausgrenzt, kann nicht anders benannt werden, als rechts. Menschen mit einer sogenannten Behinderung, Wohnsitzlose oder einfach nur Schwächere wurden nicht selten gemobbt oder ihnen mit Gewalt begegnet.

Mittlerweile tauchen die einzelnen Personen im Dunstkreis von Grauzonenbands wie Extrem Unangenehm oder Roial Asses auf. Auch wenn einige versuchen, sich von einem neonazistischen Weltbild zu distanzieren, bleibt dennoch ein Rest Skepsis. Sexismus, rassistische Stereotyp und das Glorifizieren von Gewalt helfen nicht gerade diese abzubauen.

Rechte Erlebniswelten: Grillhütenpartys
Rechte Erlebniswelten haben sich in der Region immer wieder einfach finden lassen. Deutschrockpartys auf einer Grillhütte in Weitersheim bei Grünberg, wurden gleich von dutzenden Neonazis besucht. In Winnen (Allendorf/Lumda) soll nach Berichten von Bewohner_innen eine Scheune mehrfach Treffpunkt für Partys gewesen sein. Auf einer Internetseite ließ sich vor einigen Monaten ein Kommentar finden, bei dem ein junger Neonazi bedauert, dass diese Scheune nun „dichtgemacht“ wurde.

Aber auch im privaten Bereich gab es immer wieder Anlaufpunkte. So tauchte vor ca. 2 Jahren ein Foto von einer Gartenhütte aus Nordeck auf. Auf diesem war eine schwarz-weiss-rote Fahne mit der Aufschrift ‚Bunker – Allendorf‘ zu sehen, daneben hing ein gerahmtes Bild eines verstorbenen Neonazis und ein T-shirt mit einer 18 (die 18 steht hierbei für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet, somit A und H, welches die Initialen Adolf Hitlers sind) und dem Schriftzug ‚Old school Rascist‘.

Der Bunker, intern Wolfsschanze genannt, sollte auch Ort einer neonazistischen Sylvesterparty 2001 sein. Zu offensichtliche Flyer gelangten allerdings in Umlauf und so wurde die Party von der Polizei verhindert, wie ein Bewohner aus Allendorf berichtet.

Organisierung: Division Mittelhessen, FN Lumdatal 2008 – 2010
2008 gelangte eine Clique erstmals in den Fokus von Antifaschist_innen. Bei den ‚Onkelz-Partys‘ im Wiesecker Irish Rover waren sie regelmäßig zugegen und fielen durch Nazishirts und subkulturellen, rechten Dresscode auf.nAuch in diesem Zeitraum gab es erste Versuche der Organisierung. Ein Zusammenschluss von ca. 20 Nazis aus Reiskichen, Rabenau, Allendorf/Lumda, aber auch aus dem Vogelsberg nannte sich die ‚Division Mittelhessen‘. Diese zeigte sich öffentlich fast ausschließlich mit T-Shirts der
Kameradschaft. Darüber hinaus waren einige Mitglieder auf einem Naziaufmarsch 2008 in Fulda mit einem Transparent der NPD anzutreffen.

2010 ging die Homepage der Freien Nationalisten Lumdatal auf dem Portal logr.org des Dortmunder Neonazis Dennis Giemsch (des mittlerweile verbotenen NW Dormund), online. Der Kreis der Leute war weitgehend deckungsgleich. Auf der Seite der Freien Nationalisten Lumdatal wurde zu Naziaufmärschen wie dem Antikriegstag in Dortmund aufgerufen und es wurde appelliert „…kämpfe mit uns gegen Volksverrat und die Zerstörung unserer Heimat!“.

Auch Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund blieb nicht aus. Neben der Homepage versuchten die Freien Nationalisten Lumdatal auch ein Nationales VZ aufzubauen. Hierfür nahmen sie sich die sozialen Netzwerke StudiVZ oder meinVZ zum Vorbild. Auf das NationalVZ führte einzig ein Link von der Seite der Freien Nationalisten Lumdatal. Nachdem der Betreiber der Seite von einigen Antifaschist*innen über das Infoportal indymedia und mit Flugblättern in Grünberg geoutet wurde, löschten die Freien Nationalisten Lumdatal ihre Homepage, das NationalVZ war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschaltet.

Den Aktivismus bremst dies aber kaum, immer wieder wurden in der Region Naziaufkleber verklebt. Seien es die Aufkleber der Freien Nationalisten Lumdatal oder der Freien Nationalisten Siegerland, zu denen offensichtlich guter Kontakt besteht. So wurden auf dem Aufklebern nicht nur das Logo der Freien Nationalisten Siegerland benutzt sondern auch eine Person aus deren Umfeld als V.i.S.d.P. angegeben. Des weiterem wurde in verschiedenen Ortsteilen der Gemeinde Rabenau mit Sprühereien der ‚Volkstod‘ in der BRD beklagt. In Grünberg tauchte 2011 auch eine Hakenkreuzsprüherei auf.

Ebenfalls 2011 hängten Nazis an eine Brücke bei Londorf ein Transparent mit der Parole „Nationale Selbstbestimmung statt  U-Diktatur“ auf.“

Aktionismus: Friedhofsschändungen 2012
Zwischen Dezember 2011 und dem Frühjahr 2012 wurden in der Region gleich mehre Friedhöfe geschändet. Hakenkreuze und weitere Symbole und Schriftzüge mit NS-Bezug wurden auf Grabsteine und Friedhofsgebäude gesprüht. Auch an Gebäude der Ezidischen Gemeinde in Lollar wurden solche Schmierereien hinterlassen. Bis heute ist nicht aufgeklärt, wer für diese verantwortlich ist, der politische Hintergrund sollte indes jedoch klar sein.

Organisierung: Infoportal Lumdatal, Lumdatal Stimme
Während die Seite der Freien Nationalisten Lumdatal noch aktiv war, verteilten Neonazis aus deren Dunstkreis mehrfach den ‚LumdatalBoten‘, eine Art Infoflyer und der Vorläufer zur ‚Lumdatal Stimme‘.
Auch der Internetblog ‚Infoportal Lumdatal‘ kann als direkte Nachfolge eingestuft werden, es sind zwar jüngere Aktivisten dazugestoßen, aber im Kern gleicht sich die Gruppe weiterhin. Auch inhaltlich änderte sich wenig. Völkische, rassistische Hetze und der Versuch, Begriffe der eigenen ‚Überzeugung‘ nach umzudeuten oder auszulegen lassen sich darin aufzeigen. Zwar finden sich auf dem Infoportal nicht die üblichen dumpfen Texte und Parolen wie bei den meisten Naziseiten, dennoch ist es die gleiche Hetze in einer bestenfalls etwas mühevolleren Verpackung.

Mit dem vermehrten Auftauchen im Internet, vermehrte sich auch wieder der Aktivismus in der realen Welt. Die Ziele für diesen waren schnell ausgemacht. Politische Gegner*innen wurden bei den Grünen, der Bürgermeisterin sowie alternativen Menschen und der Projektwerkstadt in Saasen ausgemacht. Es flogen Eier, mit Farbe gefüllte Christbaumkugeln und Steine. Drohanrufe folgten, „wir kriegen euch!“ wurde gedroht. Die Neonazis tauchten mit schwarz-weiss-roter Fahne auf und beklebten Autos und Briefkästen mit Nazistickern.

Aber auch öffentliche Auftritte scheuen sie nicht. So nahmen sie an einem Vortrag mit anschließender Diskussion in Allendorf teil. Auch bei einer Stadtratssitzung in Staufenberg, bei der das ‚Netzwerk für Demokratie und Toleranz‘ gegründet wurde, waren die Neonazis im Raum. Nachdem die Gründung beschlossen worden war, skandierten sie Parolen, warfen Flugblätter und zündeten vor der Tür Silvester-Böller.

Bei einer Mahnwachen gegen Rechts in Lollar wagten sie sich zwar nicht teilzunehmen, schmissen aber als diese vorbei war und sich die Versammlung langsam auflöste, aus einem fahrendem Auto eine Handvoll Flyer.

Gesellschaftliches Engagement gegen Rechts seit 2012
Seit die Neonazis vermehrt Personen beleidigt haben und diesen ganz unverhohlen drohen, regt sich auch in der Zivilgesellschaft etwas. Das ‚Netzwerk für Demokratie und Toleranz‘, Projekttage an Schulen und in Sportvereinen sind ein durchaus vernünftiger Anfang. Auch das Reflektieren, dass es nicht ausreicht, auf Neonazis zu zeigen und diese als das einzige Problem auszumachen, ist aus unserer Sicht ein notwendiger Schritt. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Weg konsequent fortgeführt wird.

Es ist unumgänglich, den Neonazis vor Ort entgegenzutreten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Ein Weltbild, das auf Ausgrenzung, Intoleranz und Gewalt aufbaut, ist für emanzipatorische Menschen nicht hinnehmbar. Die oft eingeklagte Toleranz ist weit mehr als nur ausgereizt. Dennoch sollte kritisch reflektiert werden, dass Probleme wie Rassismus oder Antisemitismus nicht ausschließlich bei Neonazis zu verorten sind. Sollen diese Probleme ernsthaft angegangen werden, ist es notwendig, dass Nationalismus, rassistische Stereotype und Antisemitismus auch in der sogenannten ‚Mitte der Gesellschaft‘ reflektiert werden und solche Denkmuster aufgebrochen werden.

Besteht der Wille, dass Neonazis nicht eine halbe Region in Aufruhr versetzen, muss das Engagement gegen rechte Weltbilder und Einstellungen über Lippenbekentnisse hinausgehen.

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