Staatstheater Kassel: „Carmen“ ab 31. März zurück auf dem Spielplan

24.3.2024 (pm/red) Nach mehrmonatiger Pause kehrt die beliebte Opernproduktion wieder auf den Spielplan zurück: Georges Bizets „Carmen“ in der Inszenierung von Florian Lutz ist ab Ostersonntag, 31. März, wieder im Opernhaus, in der Raumbühne ANTIPOLIS …

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Griechenland unter deutscher Besatzung 

 Gastbeitrag von Ursula Wöll

Marburg 07.04.2015 – Nun hat der Ausschuss des griechischen Parlamentes, der sich mit Entschädigungen befasst, die Reparationsforderungen beziffert, die durch die deutsche Besatzung des Landes im 2. Weltkrieg entstanden. Die Summe von 278,7 Milliarden Euro setzt sich zusammen aus Entschädigungen für die durch Wehrmacht und SS angerichteten Verwüstungen und die Erstattung eines Zwangskredits, den die Nazis von der griechischen Notenbank eintrieben. Eine riesige Summe fürwahr. Was geschah damals, vor gut 70 Jahren, in Griechenland?
Ich wusste von den Massakern in Oradour in Frankreich, in Marzabotto in Italien und Lidice in Tschechien. Mehrmals war ich in Griechenland in Urlaub gewesen und hatte die Gastfreundschaft der Einwohner bewundert. Einen Gedanken an die Vergangenheit hatte ich aber nicht verschwendet. Von einem griechischen Dorf namens Distomo hatte ich zwar vage etwas gehört. Was geschah also damals genau in Distomo?

Ich lieh mir das Buch von Anestis Nessou ‚Griechenland 1941 – 1944‘,  Universitätsverlag Osnabrück 2009, und erschrak: Distomo ist nur eines von vielen Massakern und Verwüstungen unter deutscher Nazi-Besatzung. Mir wurde übel, vor Ekel und Scham. Wegen damals, aber auch wegen heute. Ich erinnerte mich, wie Schäuble seinen jüngeren Kollegen von oben herab abbürstete. Ich fühle mich hilflos, weil meine Regierung diese historischen Gräuel ad acta legt. Außer täglich Schafskäse essen, fällt mir nichts ein, um dem Land zu helfen. Wenigstens über die historischen Ereignisse möchte ich ein wenig aufklären.

Der deutsche Griechenlandfeldzug begann am 6. April 1941, am 27. April wurde Athen, bis zum 3. Mai die griechische Inselwelt besetzt, und am 1. Juni 1941 fiel auch Kreta in die Hand der Invasoren.  Die „Richtlinien zur Bekämpfung der Aufständischen“   vom März 1942 griffen Keitels „Sühnequote“ von mindestens 1:50 bei Geiselerschießungen auf. Sie beginnen so: „Keine Gefühlsduselei! Es ist besser, dass 50 Verdächtige liquidiert werden, als daß ein deutscher Soldat zugrunde geht.“

Am 25. Juli 1943 wurden im Dorf Mousiotitsa 153 Männer, Frauen und Kinder im Alter von 1 bis 75 Jahren getötet. Zwei Tage später wurde der Ort Krawasaka niedergebrannt. Am 16. August 1943: Nach Ankunft in Kommeno gab Kompanieführer Röser die Losung aus: „Alle sind niederzumachen.“ Die Ermordungen erfolgten durch automatische Waffen, Handgranaten, Messer und Feuer. An Lebenden und Toten wurden grausliche Verbrechen begangen. 317 Zivilpersonen kamen um, anschließend wurde geplündert. Am 1. Oktober 43 kam Kommandeur Salminger ums Leben. Daraufhin wurden die Dörfer Neochoraki, Megarchi und Tunta zerstört und 20 Zivilisten erschossen. Dann noch vier weitere Orte zerstört und etwa 130 ‚Banditen‘ und Zivilisten getötet. Am 3. Oktober rückten Soldaten eines Gebirgsjägerregiments in Lingiades ein, brannten es nieder und töteten 87 Einwohner, darunter auch Säuglinge. Das gleiche passierte in Struni. Auf dem Peleponnes wurden nach einem Partisanenüberfall  am 1. Dezember 43 vor dem Bahnhof von Andritsa 50 Geiseln erhängt, die erst nach vier Tagen abgeholt werden durften. Am 4. Dezember 50 Geiseln in Aighion, am 7. Dezember 25 Geiseln in Gythion erschossen.

Ich überspringe zahlreiche Gräueltaten und komme zum Wehrmachtsmassaker von Kalavryta. Nach ihrer eigenen Tagesmeldung vom 13. Dezember 1943 tötete die ‚Kampfgruppe Ebersberger‘ 511 männliche Einwohner, griechische Quellen nennen weit höhere Zahlen. Dieselbe Gruppe durfte sich rühmen, 27 weitere Orte zerstört zu haben. Auch Kapitän zur See Gerlach befahl am 8. Februar 1944 als Vergeltung für einen getöteten Soldaten das Niederbrennen dreier Orte und die Erschießung von 130 Einwohnern. Am 12. März 44 wurden weitere 200 Geiseln erschossen und 10 um Sparta liegende Orte niedergebrannt. Nach einem Überfall bei Molai (drei tote Soldaten) im April 44 wurden insgesamt 335 Griechen exekutiert. Am 9. April 1944 wurden nach einem Eisenbahnanschlag der Partisanen 120 Geiseln erschossen.

Schon am 5. April 44 drangen SS-Einheiten in das makedonische Dorf Klissoura ein und metzelten wahllos mindestens 215 Einwohner nieder, vor allem Kinder und Greise. Das geschah, nachdem auf der 2,5 Kilometer entfernten Fernstraße zwei deutsche Soldaten getötet worden waren. Am 10. Juni 1944 wurden 218 Zivilisten des Dorfes Distomo nahe Delphi von SS-Einheiten auf brutalste Weise umgebracht. Unter ihnen 38 Kinder im Alter zwischen 10 Jahren und 2 Monaten. Die Recherchen des Griechenlandexperten Eberhard Rondholz bestätigen die Zeugenaussagen über die sadistischen Exzesse:  Ausgestochene Augen…, ich erspare mir und Ihnen, weitere Beispiele zu nennen.

Abschließend zitiere ich den Autor Nessou (Seite 604): „Es wäre lobenswert, zumindest über eine moralische Geste nachzudenken, wie sie der damalige Bundespräsident Johannes Rau anlässlich seines Staatsbesuches in Griechenland im April 2000 auf einer Pressekonferenz in der Deutschen Schule in Thessaloniki anregte.“ Doch das allein genügt nicht, die deutsche Seite muss endlich bereit sein, auch über die Reparationsforderungen zu sprechen.

Das meint auch die Nummer 1 der Zeitung „FaktenCheck: HELLAS – Solidarität mit der griechischen Bevölkerung“, die man unter www.faktencheckhellas.net downloaden kann.

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