Beteiligungstage für das „Landgrafenschloss der Zukunft“

14.04.2024 (pm/red) Im Zuge des Projekts „Landgrafenschloss der Zukunft“ laden die Philipps-Universität Marburg und die Universitätsstadt Marburg alle Interessierten zu Beteiligungstagen am 19. und 20. April 2024 ein, sich mit Ideen und Wissen an der …

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Schnell… schneller – wir haben doch keine Zeit! Leben wir zu schnell?

dbaz0801_0088-Documenta-ZeitMarburg 17.8.2016 –  Jede neue Technologie wird mit einem Ziel entwickelt, den Usern noch mehr Bequemlichkeit zu bieten und noch mehr Zeit zu sparen – bestenfalls eine Kombination aus beidem. Nur wenige Menschen würden widersprechen, dass mit der Erfindung des Staubsaugers oder Waschmaschine enorme Vorteile im Haushalt entstanden sind, viel Energie und Zeit kann gespart werden, seien die Aufgaben noch so trivial. Die beschleunigte Luftfahrt hat dazu beigetragen, die Welt zu verbinden und es ermöglicht, den Menschen in weniger als einem Tag auf die andere Seite der Erdkugel zu bringen. Ohne großen Aufwand kann man mittels Spracheingabe über das Telefon schnell Dinge googlen und suchen, es reicht schon die Eingabe eines einzigen Wortes.

Die Reduzierung der Zeit scheint die wichtigste Priorität, nicht nur unter den Entwicklern und Ingenieuren neuester Technologien, sondern auch für durchschnittliche Personen, die versuchen, einen Lebensstil auf Basis der Effizienz aufzubauen. Nehmen wir Silicon Valley: die Drehscheibe für internationale Unternehmen, Start-ups und weltbekannte Firmen haben dort ihren Sitz. Mit einer Workaholic-Kultur und dem Schwerpunkt auf Übererfüllung entwickeln sich bestimmte Lebensstiltendenzen in Richtung Zeitminimierung, um anschließend die Produktivität zu steigern. Aktivitäten sind nicht nur wichtig für unsere geistige Gesundheit, sondern auch von entscheidender Bedeutung für unsere körperliche Gesundheit, wie Essen und Schlafen. Schadet die Obsession Aufgaben zu beschleunigen mehr als sie uns nützt?

Das Startup namens Soylent verkauft ein neues Fertiggericht als Flüssigmahlzeit – vor dem Gebrauch gut schütteln, die notwendigen Nährstoffe sind enthalten und das Völlegefühl setzt genauso wie bei einer typischen Mahlzeit ein, es wird aber für nur ein Fünftel der Zeit gebraucht. Es besteht keine Notwendigkeit mehr in der Pause in den Supermarkt zu gehen oder Lunch-Boxen von zu Hause vorzubereiten, wenn stattdessen der Protein-Shake in einer Minute verzehrt werden kann. Rezepte müssen nicht nach gekocht werden, Zutaten nicht gekauft werden oder man muss sich nicht an einem Imbiss in die Warteschlange stellen. Und das Zeitaufwendigste: sich mit Freunden und Familie für eine richtige Mahlzeit treffen. Es kann die ideale Vision für eine ehrgeizige junge Person sein, die ihre Zeit für die Arbeit maximieren kann – aber mit welchem Aufwand und zu welchem Preis?

Es hat immerhin einen Grund, warum es Mittagspausen gibt, nämlich nicht nur um den Hunger zu stillen, sondern auch um eine Pause von der Arbeit einzulegen und den Kopf frei zu bekommen, damit neue Energien getankt werden können. Man könnte annehmen, das wäre für die Karriere förderlich, wenn man seine gesamte Zeit in der Arbeit verbringt und auf jegliche Pausen verzichtet. „Aus Sicht der Produktivität gibt es aber eine deutlich abnehmende Grenze. Wenn das Gehirn durch ständige Anstrengung einen Acht-Stunden-Tag ausüben muss“, so Arbeitspsychologen. Wenn Arbeitnehmer die Mittagspause auf einer regelmäßigen Basis überspringen und sie nicht merken, dass häufige Müdigkeit und Burnout sich breit machen, werden sie eines Tages aufwachen und „plötzlich“ mit weniger Begeisterung und Elan an die Sache gehen. Man sollte seine Mittagspause richtig nutzen.

Es ist ein bekanntes Problem: wir haben keine Zeit zum Essen, weil wir so viel zu tun haben. Entweder wir hungern oder wir gehen rasch zur nächsten Imbissbude und holen uns schnell etwas, aber nichts davon ist optimal. So viel Zeit wir auch in die Arbeit investieren, so kommt es ironischerweise zu entgegengesetzten Ergebnissen. Müdigkeit verringert die geistige Erkenntnisfähigkeit. Alle Untersuchungen von Neurowissenschaften zu Wirtschaftsdaten zeigen, dass Mehrarbeit wirklich nicht die besten Ergebnisse produziert. Arbeitet man bis zu 50 Stunden die Woche, beginnt die Produktivität zu sinken. Die meisten Menschen werden tatsächlich produktiver, wenn sie weniger haben – verlieren aber definitiv an Kreativität und Innovation, wenn sie zu viel arbeiten und müde werden.

Hinzu kommt, dass bei der Mehrheit der Menschen, die Konzentrationsfähigkeit und das Energieniveau beeinträchtigt wird, dies geschieht bereits dann, wenn nicht genug Schlaf vorhanden ist. Wenn überanstrengte Mitarbeiter zu einer späteren Stunde zu Bett gehen – manchmal nicht bis zum frühen Morgen schlafen. Dann nur wenige Stunden später besonders zeitig aufstehen um joggen zu gehen, um dann fit in den Tag zu starten oder einen Vorsprung auf die E-Mails zubekommen. Arianna Huffington beschreibt den weit verbreiteten Schlafentzug der Welt als „Gesundheitskrise“ und behauptet diese „Schlaf ist für die Schwachen“-Haltung unter den Berufstätigen ist bestürzend. In ihrem Buch „The Sleep-Revolution“, behauptet Huffington, dass mehr Schlaf und nicht mehr Arbeit, der Schlüssel zu einem erfolgreicheren und erfüllten Leben ist.

Neben Kritischem Denken und Konzentrationsfähigkeiten kann das allgemeine Wohlbefinden inmitten eines beschleunigten Lebensstils erfolgreich sein. Seit Instant Messaging, sprechen die Menschen deutlich weniger von Angesicht zu Angesicht als noch vor ein paar Jahren. Während Online-Chats eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich bringen (schüchterne introvertierte Menschen, die sich regelmäßig in Situationen unter Zeitdruck finden, können dies bezeugen). Eine Studie an der Stanford University hat herausgefunden, dass Depressionen unter Jugendlichen sogar noch höher sind, wenn sie häufig Instant Messaging verwenden.

Die Leichtigkeit der Online-Kommunikation kann zu schwächeren sozialen Bindungen führen, weil die Menschen weniger Grund haben, ihre Häuser zu verlassen und tatsächlich von Angesicht zu Angesicht zu interagieren. Darüber hinaus, was das Fehlen von Körpersprache und Intonation in der Online-Kommunikation durch das häufige Nutzen von Instant Messaging bedeuten kann, kämpfen grundlegende soziale Signale zu entwickeln.

Das bringt uns zum Speed-Dating, ein bizarres Konzept für die einen, ein logisches für die anderen. Obwohl Speed-Dating nicht auf eine großartige Technologie angewiesen ist, war es in den 90er Jahren noch üblicher als heute, scheinen die heutigen mobilen Anwendungen auf dem gleichen Konzept, der beschleunigten Entwicklung von Beziehungen, zu basieren. Tinder, die Dating-App ist ein gutes Beispiel. Ein kurzer Swipe in beide Richtungen lassen einen User mit einem anderen, den sie attraktiv finden „matchen“ (basierend auf bis zu fünf Bildern und einer kurzen Beschreibung), während der Rest vernachlässigt wird. Sobald zwei Benutzer miteinander übereinstimmen, kann ein Gespräch in ihrem privaten Chat stattfinden. Die App mit seinem roten Flammenlogo und die Art der Anwendung, geben dem Anwender klare Erwartungen über eine potenzielle Romanze.

Im Schnitt tauschen Benutzer Nachrichten von einer Stunde bis zu einer Woche vor dem Treffen aus. Obwohl die App von vielen als vereinfacht, bequem und unkompliziert gefeiert wird, bedeutet es für vielbeschäftigte Menschen schnell romantische Verbindungen zu knüpfen, andere sind besorgt, dass sich diese Straight-to-Dating-Kultur durchsetzt und normalisiert.

Tinder und andere Apps zielen darauf ab, den Aufbau von Beziehungen zu beschleunigen, hier verzichten die Nutzer auf viele grundlegende psychologische und emotionale Schritte. Der Benutzer hat nicht viel Zeit, um den „Match“ außerhalb des Bereichs der romantischen Erwartungen kennenzulernen und kann daher nicht die romantische Verbindung einer bereits bestehenden Freundschaft knüpfen und eine Bindung herstellen. Vielleicht für viele Menschen kein Problem – aber andere könnten diese beschleunigte Form von Dating, anstatt einer emotional erfüllenden Erfahrung, als ein unbefriedigendes, nicht aufrichtig oder lohnendes Erlebnis betrachten.

Auch unsere Spielzeit wird letztendlich zugunsten der Arbeit beiseitegeschoben. Menschen, die sich für schnelle Kraftübungen entscheiden sich im Gegensatz zu Ausdaueraktivitäten, versuchen, so viele Kalorien wie möglich in einer kurzen Zeit zu verbrennen, anstatt sie zum Vergnügen ausüben. Online findet man viele Anleitungen, wie man knapp fünf Minuten braucht um zu meditieren. Typischerweise erfordern Strategiespiele viel Geduld und Ausdauer in den „Geschwindigkeitsvariationen“. Auch Streaming-Plattform Twitch, wachsen stetig. Die beliebtesten Online-Pokerräume geben den Spielern die Möglichkeit, „Speed Poker“ zu spielen, es gibt eine zeitliche Begrenzung für die Entscheidungsfindung und man muss ein Spiel in nur 15 Minuten beenden. Speed-Schach und Speed-Scrabble erfreuen sich auch großer Popularität. Aber geben diese schnellen Mini-Spiele wirklich die gleiche Befriedigung, als wie wenn man mit einstündigem Einsatz spielen würde?

Es scheint, Zeitverkürzung wird oft mit einer Verringerung der Entspannung und dem Genuss verwechselt. Wie John Lennon einmal gesagt hat: Zeit, die wir zu verschwenden genießen, ist nicht verschwendet.“ Statt mit offensichtlichen emotionalen und körperlichen Gefahren zu schnell zu leben, sollten wir vielleicht mehr Wert darauf legen unsere Aufgaben von Tag zu Tag zu erledigen und zu planen, die unsere Zeit und Mühe verdienen. Anstatt sich zu wünschen, dass die Zugfahrt zur Arbeit etwas kürzen ausfalle könnte, sollten wir die seltenen Momente schätzen, in denen wir allein mit unseren Gedanken sind, bevor man die Welt an sich vorbei sausen lässt, lieber mal in ein gutes Buch einzutauchen.
Nicole Huber

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