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Wie rutschte Deutschland tiefer in den Afghanistan-Konflikt?

Hagen, Marburg 5.1.2011 (pm/red) Während gerade die letzten 12.000 Wehrpflichtigen in Deutschland ihrem Einberufungsbefehl Folge geleistet haben, gibt es in der Wissenschaft weitere Publikationen über das Engagement und Scheitern – je nach Lesart – der Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. Zuletzt hatten Johannes M. Becker und Herbert Wulf als Herausgeber das Buch Afghanistan: Ein Krieg in der Sackgasse vorgelegt. Dem folgt jetzt eine an der Fernuniversität Hagen entstandene Dissertation zum gleichen Thema. Das ist bereits hinreichend mitteilungswert, wird durch die Tatsache zusätzlich interessant, dass der Verfasser der Dissertation ein ranghoher Soldat der Bundeswehr, nämlich Generalleutnant, gewesen ist. Dazu kommt, dass die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wieder vernehmbarer wird. Ende Januar wird sich der Deutsche Bundestag mit der Verlängerung ihres Mandats befassen. In diesem Zusammenhang werden wohl wieder die ursprünglichen Motive für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) eine Rolle spielen und diskutiert werden.

Generaleutnant a.D. promoviert über Krieg in Afghanistan

Generalleutnant a.D. Ulf von Krause hat sich in seiner politikwissenschaftlichen Promotion an der FernUniversität in Hagen damit auseinander gesetzt, welche Gründe 2001 zum Engagement Deutschlands in den Afghanistaneinsätzen geführt hatten. Er geht der Frage nach, wie es zu erklären ist, dass Deutschland resp. die Bundeswehr immer tiefer in den Konflikt hineingezogen wurde. Viele Gesichtspunkte dieser Einsätze und zahlreiche Hintergründe für die damalige Entscheidungsfindung kannte er aus seiner beruflichen Tätigkeit. Er war zwar nicht selbst an den Entscheidungen beteiligt, wohl aber an ihren Umsetzungen. Als Chef des Streitkräfteunterstützungskommandos der Bundeswehr hatte er auch die dortige deutsche militärische Logistik mit aufgebaut.

Von Krauses Motivation für die wissenschaftliche Annäherung an die Thematik waren seine Zweifel an der Rationalität der politischen Entscheidungen zu den Einsätzen dort: „Rationalität im Sinne einer Zweck-Ziel-Mittel-Beziehung zwischen Politik und Militär.“
2005 wurde Ulf von Krause als Generalleutnant verabschiedet. Nach einem erfolgreichen Governance-Masterstudium an der FernUniversität begann er 2008 mit seiner Promotion bei Politik-Prof. Dr. Georg Simonis. Zentrale Forschungsfrage der Dissertation war: „Welche Erklärungen gibt es – vor dem Hintergrund der starken Stellung des Bundestages – für die Eskalationsdynamik der deutschen Einsätze?“. Seine Analyse führt zu dem Befund: Deutschland ist 2001 in diese Einsätze hineingeschliddert und befindet sich seitdem auf einer schiefen Ebene.

Von Krause hat vielfältige Ursachen herausgearbeitet

  • zum einen fehlende oder unrealistische politische Zielvorgaben, die weitgehend auf multilateralen Forderungen und Erwartungen fußten, ohne deutsche Interessen hinreichend zu präzisieren
  • zum zweiten ein drastisches Missverhältnis zwischen militärischen und zivilen Anstrengungen.
  • Die Analyse belegt, dass die deutsche Politik aus Rücksicht auf das Zivilmachtdenken in der deutschen Gesellschaft lange den wahren Charakter der Einsätze verschleierte. Erst als 2009/2010 die deutsche Öffentlichkeit sah, dass deutsche Soldaten in Afghanistan kämpften, starben und auch töteten, wandelte sich allmählich die Position der Politik.
  • In dieser Entwicklung wirkte die Kontrolltätigkeit des Parlaments aus verschiedenen Gründen kaum eskalationsbremsend.

Zu seiner wissenschaftlichen Analyse sagt von Krause: „Man sieht ja nur die veröffentlichten Entscheidungen – was im Hintergrund besprochen wird, hinter verschlossenen Türen, erfährt man nicht.“ Aber wenn man die offiziellen Entscheidungswege anhand von Indizien verfolge, werde einiges deutlicher, auch mithilfe einer freien, investigativen Presse.

Als Ergebnis seiner Analyse eine Reihe von Empfehlungen

  • zur Förderung eines breit angelegten Diskurses zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zur Formulierung von „nationale Interessen“, die mit denen des Bündnisse abgeglichen werden,
  • zur Stärkung der Rolle des Bundestages, um diesen als Kontrollinstanz der Bundesregierung beim Einsatz von Militär („Parlamentsarmee“) effektiver werden zu lassen.
  • Vor allem jedoch forderte von Krause größte Sorgfalt bei der Formulierung des politischen Zwecks und der militärischen Zielsetzung von Einsätzen, insbesondere bei Erstentscheidungen, die unter hohem Zeit- und Emotionsdruck getroffen werden.
  • Im Verlauf militärischer Einsätze müssten Zweck- und Zielerreichung sowie die Zweck-Ziel-Mittelrelation danach ständig analysiert werden.

Ulf von Krause sieht sich durch den Fortschrittsbericht der Bundesregierung vom Dezember 2010, durch die Erklärungen von Verteidigungsminister zu Guttenberg in TV-Sendung sowie durch das Interview von General a.D. Egon Ramms im Spiegel Nr. 52/2010 bestätigt.

Dies gilt für ihn besonders im Hinblick auf

  • die problematische Sicherheitslage,
  • die sich verändernde Rolle der Opposition im 17. Deutschen Bundestag, aber auch durch die von zu Guttenberg ausdrücklich bestätigten Thesen, dass
  • jahrelang unrealistische Ziele formuliert wurden,
  • der wahre Charakter des Einsatzes verschleiert und
  • die Bevölkerung zu wenig informiert wurde, um das „freundliche Desinteresse“, oder wie wie Egon Ramms unter Bezug auf den evangelischen Militärbischof formulierte, das „blanke Desinteresse“ der Öffentlichkeit abzubauen.

Mit seiner Dissertation unter dem Titel „Entscheidungen zu den Afghanistaneinsätzen der Bundeswehr – Eskalationsdynamik trotz Parlamentsarmee“ betrat von Krause weitgehend unbekanntes Wissenschaftsland. Sie ist unter dem Titel „Die Afghanistaneinsätze der Bundeswehr. Politischer Entscheidungsprozess mit Eskalationsdynamik“  in Wiesbaden im VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011 als Buch erschienen. 377 Seiten, ISBN 978-3-531-17855-4, Ladenpreis 39,80 Euro.

–> Das Buch von Johannes M. Becker und Herbert Wulf (Hg)  Afghanistan: Ein Krieg in der Sackgasse findet sich im Marburger Bücherbord rezensiert.

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