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Wirtschaft Nordhessen boomt, Fachkräfte fehlen, Bildung hinkt hinterher

Im September 2010 gab es zuletzt eine Demonstration von Schülern und Studierenden in Marburg für mehr Ausstattung in der schulischen und universitären Bildung. (Foto Hartwig Bambey)

Wiesbaden/Kassel, Marburg (pm/red) Die Sicherung von Fachkräften sei zentrale strategische Zukunftsaufgabe für die Region Nordhessen, stellten Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Wirtschaftsminister Dieter Posch, IHK-Präsident Martin Viessmann und Handwerkskammer-Präsident Heinrich Gringel bei einer gemeinsamen Sitzung in Kassel fest. Dass Landesregierung, IHK und Handwerkskammer vereinbart haben, ihre Bemühungen noch enger aufeinander abzustimmen, wird in einer Pressinformation dazu mitgeteilt. Damit wird also beinahe amtlich beschrieben und kommuniziert, was im diesbezüglich ebenfalls nordhessischen Marburg als Boom besonders im Bereich des Bauens festzustellen ist.
Unternehmen hätten bereits heute große Sorgen wegen der absehbaren Alterung ihrer Belegschaft und des sich verstärkenden Nachwuchsmangels sowie des befürchteten Verlustes von Wissen, sagte dazu IHK-Präsident Viessmann: „Jedes zweite Unternehmen erwartet einen eklatanten Fachkräftemangel. Jedes vierte sieht diesen bereits heute als größtes Risiko für seine Fortentwicklung an.“

Freilich fehlten bei dem Termin am 2. Mai in Kassel nun ausgerechnet die beiden für Bildung und Ausbildung zuständigen Ministerinnen. Dumm gelaufen, die Repräsentanten der Wirtschaft hätten diese beiden Angehörigen der Landesregierung ansonsten an Ort und Stelle und direkt zur Schul- und Hochschulbildung befragen können.

Die Betroffenen selbst, ob Schüler, Studierende oder Lehrer, sind in Marburg im September 2010 gemeinsam in Marburg auf die Straßen gegangen, um eine bessere und hinreichende Ausstattung ihrer Bildungseinrichtungen zu forderen. (Foto Hartwig Bambey)

Sicherung des Fachkräftepotenzials als wichtige strategische Zukunftsaufgabe

Bei der Suche nach jungen, qualifizierten Mitarbeitern seien ein nachhaltiges Arbeitgeberimage und Personalmarketing von großer Bedeutung. Erforderlich seien zudem Qualifizierungsmaßnahmen und eine generationsübergreifende Personalpolitik. Deutlich höhere Beschäftigungsquoten der 55- bis 64-Jährigen in anderen europäischen Ländern wiesen darauf hin, dass unter entsprechenden Rahmenbedingungen auch ältere Menschen produktiv und innovativ arbeiten könnten, artikulierten der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister.

Von Schulen werden ausbildungsreife Absolventen gefordert

Hinweisschilder zur Bildung bei der Maikundgebung 2011 in Marburg. (Foto Hartwig Bambey)

Handwerkskammer-Präsident Heinrich Gringel sieht nicht nur die Betriebe in der Verantwortung: „Wir können und dürfen bei rückläufigen Schülerzahlen heute niemanden zurücklassen. Es ist eine gesellschaftliche Herausforderung, dass möglichst alle jungen Menschen unabhängig vom Elternhaus die Schule ausbildungsreif verlassen.“ Fehlende elementare Rechenfähigkeiten, mangelndes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen sowie geringe Verlässlichkeit stünden oft einer qualifizierten und erfolgreichen Ausbildung im Wege.

Zusammenhänge zwischen Fachkräften, Schulbildung, beruflicher Qualifizierung

Die Hinweise auf den Schildern der GEW bei der Kundgebung am 1.Mai 2011 in Marburg entbehrten nicht die Klarheit. (Foto Hartwig Bambey)

„Fachkräfte sind der wichtigste Standortfaktor“, erklärte Wirtschaftsminister Dieter Posch. Er wies auf das erfolgreiche Hauptschüler-programm hin, mit dem das Land 880 Hauptschülern den direkten Wechsel von der Schule in die Ausbildung ermöglicht. „Wir müssen dafür sorgen, dass Jugendliche ohne Warteschleife von der Schule in die Ausbildung wechseln. Dazu muss das sogenannte Übergangssystem fortentwickelt werden. Es ist in Zeiten entstanden, in denen die Lehrstellen knapp waren.“ Es gebe noch viele andere Potenziale, die sich mobilisieren ließen: „Wir haben in Hessen fast 400.000 Berufstätige ohne Abschluss – für diese Un- und Angelernten brauchen wir Nachqualifizierungsprogramme.“ Deshalb habe sein Ministerium bereits die Qualifizierungsoffensive gestartet.

Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Eine große Rolle spiele auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Wenn wir die Erwerbsquote von Frauen bis 2020 auf das Niveau der skandinavischen Länder steigern könnten, würde das die Abnahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter fast völlig ausgleichen. Ich appelliere an die Unternehmen. Betriebskindergärten, flexible Abläufe und Arbeitszeiten sind eine Voraussetzung für eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen.“ Posch wies darauf hin, dass das hessische Wirtschaftsministerium bisher den Aufbau von Betriebskindergärten mit 2,3 Millionen Euro aus dem Europäischen Regionalfonds unterstützt hat.

Zusammenhang von Abwanderung und fehlender Infrastruktur

Studierende bei der Bildungsdemonstration.

Beide Kammern sehen neben der Aus- und Weiterbildung vor allem in der Infrastruktur ein wesentliches Aktionsfeld. „Die Attraktivität Nordhessens muss insgesamt verbessert werden. Vor allem brauchen wir eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, wozu gerade im südlichen Teil der Region die Realisierung der längs überfälligen Umgehungsstraßen-projekte zwingend gehört“, so der IHK-Präsident. „Das lange Zögern und die überzogenen Klagen zur A 44 haben die Abwanderung im Werra-Meißner Kreis rasant beschleunigt. Die gleichen Fehler dürfen in anderen nordhessischen Kreisen nicht passieren. Hier haben wir quasi einen Präzedenzfall, der den Zusammenhang von Abwanderung und fehlender Infrastruktur deutlich macht“, betonte HWK-Präsident Heinrich Gringel.

Straßen, Breitband oder Bildung – Kernthemen der Koalition

Diese Notwendigkeit betonten auch der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister. „Wir hängen niemanden ab“, sagte Bouffier. „Infrastruktur – ob Straßen, Breitband oder Bildung – bleibt Kernthema der Koalition in Hessen. Wenn ich im Moment nach Kassel-Calden auf die dortige Baustelle blicke, dann bin ich stolz auf den langen Atem, den wir hier gezeigt haben.“

Die vielen Worte lassen deutliche Lücken und provozieren drängende Fragen insbesondere an die Landespolitik

Es ist wichtig, dass Landesregierung und Repräsentanten der Wirtschaft miteinander reden und Aufgabenstellungen benennen. Das Treffen am 2. Mai 2011 in Kassel muss dennoch und bedauerlicheweise als Alibi-Veranstaltung bezeichnet werden. Bei einem Referat würde der Lehrer oder die Professorin sagen „Thema verfehlt, falsch und verkürzt angegangen. Note 4-„. Es muss mehr als der Verdacht aufkommen, dass die Herren in Kassel wesentliche Fragen und Betrachtungen ausgeblendet haben. Sie machen es sich sehr einfach, zu einfach. Dabei sind doch gerade Wahlen gewesen.

Wer trägt denn in Hessen die schulpolitische Veranwortung?

Es ist doch eben diese Landesregierung seit weit mehr als 10 Jahren in die Verantwortung zu nehmen, Herr Handwerkskammer-Präsident Gringel, dafür dass „alle jungen Menschen unabhängig vom Elternhaus die Schule ausbildungsreif“ verlassen. Warum saß die zugehörige Ministerin nicht mit am Tisch in Kassel? Zugleich kommen aus Schulen, dies meint Schüler, Eltern und Lehrer,  reihenweise Klagen wegen fehlender Ausstattung, Unterstützung und fehlender Kontinuität. Die Theodor-Heuss-Schule in Marburg ist dabei nur eine von alleine drei Beschwerde führenden Schulen im Bereich Marburg.

Dienstreisen im Dienstwagen verhindern Wahrnehmung der Wirklichkeit

Was soll das Gerede von der Flugplatzbaustelle in Calden oder von Breitbandanschlüssen?  Letztere fehlen eklatant in Mittel- und Nordhessen und lassen sich nach wie vor nicht herbeireden.
Vielleicht hätten die Herren aus Wiesbaden mit der Bahn ausreisen sollen. Das wäre jedenfalls keinesfalls zeitraubend gewesen.

Stau auf der B3, volle Straßen und zugleich Vernachlässigung des Schienenverkehrs (Foto A.Reinold)

Auf der Bahnfahrt nach Norden hätte Ihnen, Herr Ministerpräsident Bouffier, der Bürgermeister in Kirchhain selbst bei einem nur kurzen Halt deutlich machen können, wo es fehlt und wie einfach es zu ändern gehen kann. Auf der Schiene fehlt es hinten und vorne, an schnellen Verbindungen und Ausstattung. Trasse und Gleise der hessischen Nord-Süd-Magistrale Main-Weser-Bahn sind lange gebaut – und werden seit langem vernachlässigt.
Stattdessen wurden die angeblichen „überzogenen Klagen zur A 44“ mal wieder bemüht. Das lenkt ab, sonst gar nuscht!
Bei der A 49 gibt es weder durchgehendes Baurecht noch gesicherte Finanzierung. Trotzdem wurde muskelspielenderweise ein Bauabschnitt begonnen, ohne zu wissen, wie es weiter und zuende geht. Darum sorgen sich nicht nur die Bürger(meister) von Schwalmstadt, Neustadt und Stadtallendorf.

Zum Schluß zu den Schulen und die Hochschulen. Wo war die Wissenschaftsministerin bei dem Termin in Kassel, ist diese doch zugleich ihre Heimatstadt?  Hessens Hochschulen, nicht nur die Marburger, stöhnen unter den Massen der G8-verstärkten Studienanfänger, ächzen zugleich unter beschnittenen Finanzmitteln und in Wiesbaden fliegt der Landesregierung gerade ihre Zig-Millionen teure Förderung der privaten EBS-Hochschule um die Ohren.

Der so wortreich hervorgehobene Boom der nordhessischen Wirtschaft sagt wenig oder gar nichts dazu, wie es weitergeht. Ihre abgedroschenen und beinahe wertlos gemachten Arbeitslosenstatitiken, Herr Posch, sollten Sie dringend erweitern um die Zahlen von Zeitarbeitern, Minijobbern, minderbezahlten Aufstockern und nach Ausbildungsabschluss nicht in feste Beschäftigung übernommenen jungen Menschen und potentiellen Familiengründern. Von Boom kann bei vielen, sehr vielen Menschen überhaupt keine Rede sein.

Findet sich nicht vor den Toren Kassel ein Weltmarktführer als Zuliefer regenerativer Stomerzeugung mit mehreren Tausend Mitarbeitern? Doch wozu Worte zu drängenden Energiefragen in diesen Tagen und in der Region verlautbaren, möchte man ironisch anfügen. Das ist offenbar nicht Sache, sprich Anliegen, dieser Herren und übernehmen schließlich inzwischen andere Leute.

Plakat einer schulbezogenen Veranstaltung in Marburg, die den Wirtschafts- und Politikrepräsentanten zum Besuch ans Herz gelegt sei. Eine Anreise per Bahn ist gut möglich und ökologisch sinnvoller als mit zudem überteuerten Dienstwagen.

So kann das nichts werden, ihr Herren aus Kassel und in Kassel, zudem nicht bei einem Treffen einen Tag nach dem Tag der Arbeit und all den Verlustmeldungen, die in Deutschland und Hessen dazu von Instituten und Gewerkschaften öffentlich gemacht worden sind.  Vielleicht sollten Vertreter der Beschäftigten mit an den Tisch solcher Beratungen und Abstimmungen genommen werden – behufs der Vermeidung von unüberlesbarer Einäugigkeit und Kurzsichtigkeit. Das ist zu wenig, trotz und gerade wegen des Booms in Nordhessen – in solch verkürzender und verzerrender Wahrnehmung.

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