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Beim hochschulpolitischen Forum statt Blick über den Tellerrand pragmatisch-diskursive Verhaftung

Marburg 16.5.2012 (yb) Ob es an der Besetzung des Podiums gelegen hat, oder die quantitative Fragestellung zur Zahl der Promotionen in Deutschland engen Blickwinkel provozierte, ist nachrangig. Der Diskurs beim 2. Hochschulpolitischen Forum kreiste weitgehend um Sichtweisen von innen und scheute eine umfassende Erörterung des „Wissenschaftssystems in Zeiten von Fachkräftemangel und Prekarisierung“, wie es eigentlich im Veranstaltungstitel angelegt war. Dabei bestätigte die Veranstaltung in der Alten Aula der Philipps-Universität zugleich, dass eine akademische Laufbahn vielen Risiken unterliegt. Dies artikuliert sich etwa in verbreiteten Begriff „Nachwuchswissenschaftler“, mit dem Studienabsolventen auch mit langjähriger Tätigkeit in Lehre und Forschung wenn nicht stigmatisiert so doch klein gehalten werden.

Uni-Präsidentin Katharina Krause benannte bei ihrer Begrüßung als Zahl 400 Promovierende im Jahr an der Philipps-Universität. 25.000 sind es in Deutschland, was einem inzwischen auf 25 Prozent gesunkenen Anteil bei den akademischen Abschlüssen entspricht. Im einführenden Impulsvortrag problematisierte Prof. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität Berlin, kurz die Exzellenzförderung als Instrument zur Verteilung unzureichender Budgets, bei dem ein unterfinanzierter Wissenschaftsbetrieb zugleich in einen Leistungswettbewerb geworfen ist. Dieser Wettbewerb habe eine Disparität in der deutschen Forschungslandschaft offengelegt. Ein Mangel dabei sei dabei stattfindender Wettbewerb um Ressourcen im Widerstreit zu einem rational motivierten Wissenschaftsbetrieb.

Prof. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Berliner Humboldt-Universität, beim Einführungsvortrag in der Alten Aula. (Foto Hartwig Bambey)

Dabei beruhe die Hochschulautonomie in Berlin auf defizitären Möglichkeiten der Ministerialbürokratie die Hochschulen zu überblicken. Grundsätzlich präferiere Forschungsförderung die naturwissenschaftlichen Disziplinen, wobei der Doktortitel ungebrochen mit Anerkennung und Leistung konnotiert sei, historisch zu verstehen als Reflex für allein noch mögliche titulare Hervorhebung in einer egalitären Gesellschaft ohne Standeszugehörigkeit. Olbertz konzedierte unterschiedliche individuelle Motive bei den Promovierenden. Seine Antwort – zur Frage ob 25.000 Tausend Promovierende zu viel oder zu wenig seien – war ein doppeltes ja. Man könne die Zahl ebenso für zu groß wie als zu niedrig betrachten. Berücksichtige man den gesellschaftlichen Bedarf nach Hochqualifizierten jenseits der Universitäten, gebe es womöglich zu wenig. Sein abschließendes Credo betonte nicht ein weniger an Promotionen, sondern bessere. Dabei seien “Ansprüche an gute wissenschaftliche Praxis viel offensiver nach außen zu tragen.“

Beim anschließenden Podiumsgespräch machte Prof. Ursula Birsl als Gesellschaftswissenschaftlerin deutlich, dass sie sich sehr wohl einem Druck zu einer größere Zahl von Promovierenden ausgesetzt sieht. Von Prof. Paultheo von Zezschwitz als Naturwissenschaftler kam das Eingeständnis, dass ohne den großen, überwiegenden Anteil der Promovierenden der Lehrbetrieb in der Chemie keinesfalls zu stemmen sei. Als einzige „Nachwuchswissenschaftlerin“ auf dem Podium zeigte sich die Promovierende Ortrun Braun erfrischend unbekümmert. In ihrem Selbstverständnis ist sie längst Forscherin und Wissenschaftlerin – an ihrem Platz und in notwendiger wie zugewiesener Rolle, wobei sie ihre Promotion weitgehend eigenständig umsetzt.

Als Promovierende brachte Ortrun Braun ihr Selbstverständnis und Sichtweise selbstbewußt ein.

Modalitäten der Betreuung von Doktoranden wurden vom professorenlastig besetzten Podium in teils ausschweifenden Beiträgen erörtert, ehe das Kernproblem der Finanzierung zur Sprache kam. Beklagt wurden der notwendige Aufwand bei der Drittmitteleinwerbung, die oft unabdingbar sei, um jungen Wissenschaftlern überhaupt Angebote machen zu können. Dass es dabei selten oder gar nicht um grundständige Ausstattung geht, vielmehr halbe Stellen weit verbreitete schlechte Praxis sind, wurde von allen zugestanden. So offenbarte die Abhängigkeit von Drittmitteln die Misere defizitärer Grundfinanzierung der Hochschulen. In den Einbringungen wurde zwar ein Konvolut kritischer Aspekte benannt, wie die Problematisierung der Bezeichnung ‚Nachwuchswissenschaftler‘, die Statusdifferenz zwischen Lehrenden und Lernenden bis hin zum wachsenden Segment wissenschaftlicher Hilfsstellen mit Bezahlung unterhalb der Armutsgrenze.

Seitens der Moderatorin gab es wenig Gesprächslenkung zu Gunsten einer strukturellen Betrachtung. Verbreitete und gängige Praxis mit vielen Mängeln in der Nachwuchsausbildung wurde immer wieder beleuchtet und problematisiert. Auch die Information, dass zwei von drei Promotionsvorhaben erfolglos verlaufen, konnte den Blick nicht recht in eine strukturkritische Betrachtung wenden. Eine zwar selbstbewusste jedoch einsame Promovierende hatte dem professoralen Übergewicht zu wenig entgegen zu setzen. Die fehlende Einbeziehung von Promovierten aus dem Mittelbau in das Podium erwies sich als Unterlassung. Man begnügte sich mit Vergegenwärtigung und Beschreibung des Realen, sei es noch unzureichend.

Natürlich sollte es nicht um die Beantwortung der gewollten und quantitativen Fragestellung gehen. Eine unabdingbare Hinterfragung von ‚Fachkräftemangel‘ und ‚Prekarisierung‘ als nur symptomatische Kategorien in obwaltenden gesellschaftlichen Bedingungen wurde nicht geleistet. Die gleichzeitige Existenz hoher Arbeitslosigkeit und verbreiteter Armut könnte als große bildungspolitische Aufforderung begriffen und beschrieben werden. ‚Fachkräftemangel‘ und ‚Prekarisierung‘ könnten als gemachte Ergebnisse unterlassener Förderung verstanden werden. Doch solch grundlegende Betrachtung wurde mit pragmatisch-diskursiver Verhaftung überdeckt und verhindert. Gerade mal zum Schluß war kurz von der “Ökonomisierung der Hochschulen“ die Rede, ohne dies zu vertiefen.

So hat das hochschulpolitische Forum einer Selbstverzwergung des Elfenbeinturms wenn nicht Vorschub geleistet, so doch zumindest viel zu wenig entgegen gesetzt. Wer oder was hat die Hochschulrepräsentanten eigentlich abgehalten “Ansprüche an gute wissenschaftliche Praxis viel offensiver nach außen zu tragen,“ wie eingangs vom Präsidenten der Humboldt-Universität vorgeschlagen wurde? Diese Frage müssen sich die Diskutanten stellen lassen. Hohe Ansprüche sind unabdingbar mit Stellenwert und Bedeutung des Wissenschaftssystems, der Hochschullandschaft, verbunden. Aber sie müssen artikuliert werden. Natürlich geht es um mehr Geld. Doch wer – wenn nicht die Diskutanten in solchem Rahmen – hat dies einzufordern und unabweisbar zu machen?

Zum Ende kam bezeichnenderweise gar eine Frage zu Auswirkungen von ‚Schuldenbremse‘ in den Raum. Mit bloßem Starren auf neoliberale Politikstrategien lassen sich Defizite und Mängel an den Hochschulen nicht durchbrechen, weder für die Promovierenden noch für den überquellenden Betrieb der Lehre zuvor. Wo bleibt das Positive und dessen Einforderung? In der Alten Aula blieb das akademische Podium merkwürdig und selbstverschuldet verhaftet.

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