Beteiligungstage für das „Landgrafenschloss der Zukunft“

14.04.2024 (pm/red) Im Zuge des Projekts „Landgrafenschloss der Zukunft“ laden die Philipps-Universität Marburg und die Universitätsstadt Marburg alle Interessierten zu Beteiligungstagen am 19. und 20. April 2024 ein, sich mit Ideen und Wissen an der …

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Armutsforschung: Wenig Rente bedeutet kürzeres Leben

Marburg 13.04.2019 (wm/red) Die Lebenserwartung von Arm und Reich klafft in Deutschland immer weiter auseinander. Das lässt sich besonders deutlich an den erworbenen Rentenpunkten und der Lebenserwartung älterer Männer zeigen. So hatten 65-Jährige mit sehr hohen Altersbezügen im Jahr 2005 eine durchschnittliche verbleibende Lebenserwartung von knapp 19 Jahren. Das unterste Einkommens-Fünftel dagegen erreichte den 80. Geburtstag in der Regel nicht mehr. Ihnen verblieben nach dem 65. Geburtstag im Durchschnitt nur mehr knapp 15 Jahre – also vier Jahre weniger. Bis zum Jahr 2016 vergrößerte sich dieser Unterschied weiter auf über fünf Jahre, während er 1997 noch bei ungefähr drei Jahren gelegen hatte.

Das wiesen Georg Wenau, Pavel Grigoriev und Vladimir Shkolnikov vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung anhand von Daten der Deutschen Rentenversicherung für Männer nach. Die Studie ist jetzt im Journal of Epidemiology & Community Health erschienen. Sie zeigt, dass der Abstand zwischen Arm und Reich in der durchschnittlichen Lebenserwartung während der letzten 20 Jahren stark gewachsen ist. „Vor allem für Menschen am unteren Ende der sozialen und wirtschaftlichen Hierarchie stieg die Lebenserwartung im Alter 65 zuletzt deutlich langsamer – im Westen sogar seit etwa 2007 fast gar nicht mehr“, sagt Georg Wenau, Hauptautor der Studie.

Lebenserwartung der Reichen steigt viel stärker als die der Armen
Zwar stieg die Lebenserwartung in allen Einkommensschichten. Aber während sie in der untersten Einkommensgruppe in Westdeutschland von 1997 bis 2016 lediglich um 1,8 Jahre zunahm, hat die oberste Gruppe gleichzeitig fast doppelt so viel Lebenszeit hinzugewonnen. Im Osten ist der Zugewinn der obersten Einkommensgruppe mit 4,7 Jahren ebenfalls deutlich höher als bei der untersten Gruppe mit 3 Jahren.Auch wenn die Zahlen für Westdeutschland zunächst etwas dramatischer aussehen, sind die größeren Einbrüche doch nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland zu finden. Hier hat sich die sozioökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung im Rentenalter stark verändert. Denn der Anteil jener Männer, die in die unterste Einkommensgruppe fallen, hat sich von 2005 bis 2016 beinahe verdoppelt.

Für ihre Untersuchung hatten die Wissenschaftler die Daten der Deutschen Rentenversicherung herangezogen, weil aus ihnen sowohl die Lebensdauer (=Rentenbezugsdauer) hervorgeht als auch die Anzahl der erworbenen Rentenpunkte, also die Höhe der Rente. Diese Rentenpunkte interpretierten sie als eine Art Lebensarbeitseinkommen, das die soziale und wirtschaftliche Position einer Person innerhalb der Gesellschaft widerspiegelt.

Umfassende Analyse der Lebenserwartung nach Einkommen im Zeitverlauf
Da es kompliziert ist, die Daten der Deutschen Rentenversicherung auszuwerten, sind Studien zur Lebenserwartung nach sozialen Kriterien trotz ihrer Relevanz bisher selten. Es ist das erste Mal, dass solche Werte für Deutschland so genau im Zeitverlauf berechnet wurden. Die Einkommensgruppen wurden dabei – exakt formuliert – nicht nach Einkommen gebildet, sondern nach den zu Rentenbeginn erreichten Anwartschaften. Alle männlichen Rentner wurden anhand dieser Rentenpunkte in fünf Einkommensgruppen aufgeteilt.

Während sich der Anteil der Rentner pro Einkommensgruppe in Westdeutschland über die Zeit kaum änderte, wuchs die einkommensschwächste Gruppe in Ostdeutschland von 2005 bis 2016 stark an: von etwa einem Fünftel aller Männer auf 36 Prozent. Denn in Ostdeutschland konnten viele Neu-Rentner nur noch wenige Rentenpunkte ansammeln, da sie langzeitarbeitslos oder insbesondere in den letzten Erwerbsjahren geringfügig beschäftigt waren.

„Schock der Wiedervereinigung“ kostet Ost-Männer Lebensjahre
„Die 65-jährigen Männer im Osten verlieren über die Zeit durchschnittlich ein potentielles Lebensjahr, das sie hinzugewonnen hätten, wenn die sozioökonomische Struktur der Bevölkerung gleich geblieben wäre“, fasst Georg Wenau zusammen. Dies ist zum einen durch die geringeren Zugewinne in der Lebenserwartung der unteren Einkommensgruppe und zum anderen durch den gewachsenen Bevölkerungsanteil dieser Gruppe erklärbar.

„Das Zurückfallen der unteren Einkommensgruppe im Osten kann weitgehend als ‚Schock der Wiedervereinigung‘ interpretiert werden.“ Auch wenn sich die sozioökonomische Situation erst relativ spät im Leben verschlechtert, kann das also einen erheblichen Einfluss auf die Lebenserwartung haben, schlussfolgern Wenau und seine Kollegen.

„Allerdings darf man nicht vergessen, dass eine kleine Rente nicht nur für einen geringen Wohlstand im Lebensabend steht, sondern auch für gebrochene Erwerbsbiografien mit schlecht bezahlten Jobs und Zeiten der Arbeitslosigkeit“, sagt Georg Wenau. Wenn man also jetzt die Rentenzahlung pro gesammeltem Rentenpunkt erhöhen würde, wären zwar alle im Alter wohlhabender. Aber die lebensverkürzende Historie von (Langszeit-)Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen trüge die untere Einkommensschicht immer noch mit sich herum.

Feste Einkommensgrenzen machen soziale Verschiebungen sichtbar
Für ihre Analyse teilten die Forscher alle männlichen Rentner aus dem Jahr 2005 anhand ihrer Rentenpunkte aufsteigend in fünf gleich große Gruppen auf, sogenannte Quintile. Daher gehörte im Jahr 2005 ziemlich genau ein Fünftel (oder 20 Prozent) zur untersten Einkommensgruppe. Die Quintilsgrenzen aus 2005 wurden dann auf alle anderen Jahre übertragen und festgehalten. So ist es möglich, dass sich der Prozentanteil der Rentner in den verschiedenen Einkommensgruppen veränderte.

Berufsgruppen, bei denen die Höhe der gesetzlichen Rente den Wohlstand und sozialen Status nicht ausreichend oder verzerrt wiedergibt, wurden in der Studie nicht berücksichtigt (z.B. Selbstständige, Beamte). Die Analysen betrachten zudem nur Männer, da insbesondere die westdeutschen Frauen im fraglichen Zeitraum eine vergleichsweise geringe Arbeitsmarktbeteiligung aufwiesen. Ihre teils geringen Renten werden oft durch relativ hohe Haushaltseinkommen kompensiert.

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