Beteiligungstage für das „Landgrafenschloss der Zukunft“

14.04.2024 (pm/red) Im Zuge des Projekts „Landgrafenschloss der Zukunft“ laden die Philipps-Universität Marburg und die Universitätsstadt Marburg alle Interessierten zu Beteiligungstagen am 19. und 20. April 2024 ein, sich mit Ideen und Wissen an der …

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Brot und Rosen – Zur Geschichte des 8. März

Vom Textilarbeiterstreik im Jahr 1904 in Crimmitschau ist die Postkarte überliefert. Sie zeigt solidarisch versammelte Frauen.

Kassel 03.03.2020 | Gastbeitrag von Ursula Wöll Die Kunstgeschichte besinnt sich zunehmend darauf, dass auch Frauen bedeutende Werke schufen. Die Frankfurter Schirn zum Beispiel zeigt bis zum 24. Mai die Ausstellung ‚Fantastische Frauen‘ mit Werken von Surrealistinnen, die bislang im Schatten ihrer berühmten männlichen Kollegen standen. Ich möchte an zwei Beispielen aus der Welt der Arbeit zeigen, dass auch hier Frauen Geschichte schrieben. Gewählt habe ich den Streik von 8000 Textilarbeiterinnen in Crimmitschau/Sachsen im Jahr 1903/04 und den von 14000 Textilarbeiterinnen in Lawrence/Massachusetts im Jahr 1912. Beidesmal ging es den Frauen nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen und -löhne, sondern auch um ein schöneres Leben. Um Brot und Rosen also. Das Lied „Brot und Rosen“ entstand damals in Amerika, es wurde zu einer Hymne des Internationalen Frauentages am 8. März.

Eine Stunde für´s Leben

Textilarbeiterinnen waren es, die den berühmten Streik im sächsischen Crimmitschau 22 Wochen lang, also fast ein halbes Jahr, durchhielten. Er endete am 18. Januar 1904. Obwohl das Lied noch nicht existierte, ging es den Arbeiterinnen nicht nur ums Brot, sondern auch um die Rosen. Sie forderten den Zehnstundentag mit der Parole: „Eine Stunde fürs Leben“.

Die heute fast vergessenen 8000 Frauen (und einige Männer) von Crimmitschau erlitten zwar eine Niederlage, trugen aber mit ihrem Streik dazu bei, dass im Jahr 1908 endlich der Zehnstundentag Gesetz wurde. Ein Beweis dafür, dass auch Frauen immer Geschichte ‚geschrieben‘ haben. Wann wird das endlich in unser historisches Gedächtnis eingehen und das Selbstbewusstsein von Frauen stärken?

Im Sonntagsstaat und mit erhobenen Köpfen stellen sich einige der 8000 am 18. 1. 1904, dem Tag ihrer Niederlage, einem Fotografen. Die Geschlossenheit der Gruppe und die Unterschrift „Hoch die Solidarität“ drücken aus, dass die Arbeiterinnen den Streik trotz Misserfolg und Mühen nicht bereuten. Ihre Erfahrung, gemeinsam für ein besseres Leben gekämpft zu haben, kann ihnen niemand nehmen. Und ebensowenig ihre Erfahrung, aus ganz Deutschland Unterstützung und Anerkennung erhalten zu haben.

Zu Weihnachten 1903 etwa spendete der Leipziger Konsumverein 7000 Stollen. Aus dem gesamten Kaiserreich rollten Geschenke in Möbelwagen und Waggons an. Die Frauenrechtlerin Ottilie Baader schrieb in ihren Lebenserinnerungen: „Die feste, besonnene Haltung der Arbeiterinnen, die doch zum erstenmal streikten, war bewundernswert. Sie sind schlimmer als die Männer, meinte ein Fabrikbesitzer.“ Das Streikpostenstehen war verboten, also fuhren die Frauen ihre Jüngsten im Kinderwagen ’spazieren‘. Versammlungen waren untersagt, also wichen sie trotz Schnee und Kälte in den Nachbarort aus.

Besonders schmerzlich war es den Streikenden, dass sie nach den 11 Stunden Fabrikarbeit mit all dem Lärm der Maschinen ihrer Hausarbeit nicht gerecht werden konnten, die damals noch reine Frauensache war. Eine so erschöpfte Frau „kann sich den Ihrigen nicht mit der gleichen Hingabe und Zärtlichkeit widmen“, heißt es in einem Gewerkschafts-Flugblatt. Die Forderung „Eine Stunde fürs Leben“ wurde so ihre Parole.

Until we will win

Der Frauenstreik in Lawrence dauerte vom 11. Januar 1912 bis zum 14. März, also ’nur‘ 9 Wochen. Er wurde von der Gewerkschaft Industrial Workers of the World IWW unterstützt. Und er war erfolgreich, weil die Migrantinnen aus so vielen Ländern zusammenhielten. Am Ende wurde ihre Wochenarbeitszeit um 2 Stunden auf 54 Stunden reduziert und ihr Lohn um 15 % erhöht. Das wunderbare Lied „Bred and Roses“ entstand und wurde zu ihrer Durchhalteparole.

Aktualität des Internationalen Frauentages

Im Jahr 1977 übernahm die UNO das Datum 8. März und erklärte es zum „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frauen und den Weltfrieden“. Die Textilindustrie produziert heute vor allem in Bangladesh. Und hier hat sich nach der Kathastrophe in der Rana Plaza-Fabrik  von 2013 nur wenig zum Positiven verändert. Wir hierzulande haben heute zwar Brot, aber an den Rosen hapert es noch immer. Denn wie können wir glücklich leben, wenn anderswo Menschen hungern und frieren oder als Flüchtlinge Angst vor Kriegen erleiden (womöglich befeuert mit ‚unseren‘ Waffenexporten)? Wenn Europa zur Festung wird?

So kann die Selbstvergewisserung am 8. März durch ein Erinnern an das bewundernswerte historische Handeln von Frauen nicht alles sein. Wir müssen den Stein weiterwälzen, so lange, bis der 8. März weltweit als Sehnsuchtstag überflüssig wird. Die letzte Strophe von „Brot und Rosen“ deutet das an. 

Der Liedtext Brot & Rosen

Wenn wir zusammen gehen,
geht mit uns ein schöner Tag,
durch all die dunklen Küchen
und wo grau ein Werkshof lag,
beginnt plötzlich die Sonne
unsre arme Welt zu kosen
und jeder hört uns singen
BROT UND ROSEN

Wenn wir zusammen gehen,
kämpfen wir auch für den Mann,
weil unbemuttert kein Mensch
auf die Erde kommen kann
und wenn ein Leben mehr ist
als nur Arbeit, Schweiß und Bauch
wollen wir mehr – gebt uns Brot
doch gebt die Rosen auch.

Wenn wir zusammen gehen
gehen unsre Toten mit,
ihr unerhörter Schrei nach Brot
schreit auch durch unser Lied
sie hatten für die Schönheit,
Liebe, Kunst erschöpft nie Ruh
drum kämpfen wir ums Brot
und woll’n die Rosen dazu.

Wenn wir zusammen gehen
kommt mit uns ein bessrer Tag,
die Frauen, die sich wehren
wehren aller Menschen Plag,
zuende sei, dass kleine Leute
schuften für die Großen,
her mit dem ganzen Leben:

BROT UND ROSEN

Das Lied ist aus dem Jahr 1912. Es entstand bei einem Streik von 14.000 Textilarbeiterinnen in Lawrence/ USA.

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