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Die Gründung des Oberhessischen Künstlerbundes 1943 – ein Akt gegen die Nazis?

11.09.2021 | Gastbeitrag von Bruno W. Reimann In Gießen wird aus Anlaß der Umhängung eines Reliefs an einer Schule das Wirken des Malers Walter Kröll (1911-1976) im Dritten Reich diskutiert. Erörtert wird, in welcher Weise sich Kröll einerseits als „Jungzugführer“ im Jungvolk, andererseits als Maler dem Nationalsozialismus angedient hat. Im Kontext der Diskussion wurde Kröll als „Mitbegründer des Oberhessischen Künstlerbundes“ herausgestellt, der – so Rüdiger Soßdorf – „für sich in Anspruch nimmt, quasi als Zeichen gegen den Nationalsozialismus ins Leben gerufen worden zu sein“. (GAZ 27. Juli 2021). Soßdorf beruft sich dabei auf die „Einschätzung seiner geschätzten Kollegin Dagmar Klein“, die er in dem Artikel auch zitiert. Ihr zufolge sei die Gründung ein „Signal an die Machthaber“ gewesen.

Ich werde hier der Frage nachgehen, ob diese Behauptung, der OKB sei 1943 als „Zeichen gegen den Nationalsozialismus“ gegründet worden, einer Nachprüfung standhält. Auf der Webseite des OKB ist über dessen Gründung folgendes zu lesen: „Es war der 18. Mai 1943 als die Giessener Künstler Hans Hagenauer, Hellmuth Mueller-Leutert und Carl Bourcarde mit weiteren 12 Kollegen den Oberhessischen Künstlerbund ins Leben riefen. Sie wollten damit der propagandistischen Einvernahme der Bildenden Kunst durch die Nationalsozialisten ein Stück bürgerlich-individuelle Freiheit und das Ideal der Freiheit der Kunst entgegen setzen.“ (https://www.okb-giessen.de/okb.html)

Das klingt nach Protest gegen die NS-Kunstpolitik und macht neugierig darauf, auf welche Quellen sich eine solche Behauptung bezieht. Befragt auf die Quellen dieser Aussage, verwies der Vorsitzende des OKB, Dieter Hoffmeister, auf einen vereinsinternen Rechenschaftsbericht des Gründers des OKB, Hans Hagenauer, den dieser nach 1945 verfasst habe. Den Bericht habe er nicht zur Hand, er befinde sich mit anderem Material in sechs Kisten (p.c., 11.8.2021).

Meiner Bitte um Einsichtnahme in diesen Bericht entsprach Hoffmeister nicht, mehrere Nachfragen blieben ohne Ergebnis. Was soll man von einem Vorsitzenden halten, der in einer solch wichtigen Frage die Quellen nicht offen legt?

Vergegenwärtigen wir uns die Argumentationsfigur: Hans Hagenauer ist einer der Hauptgründer des OKB im Jahr 1943. Äußerungen, die er nach 1945 getätigt hat und die nicht wirklich überliefert sind, führten dazu, dass diese Gründung als Akt gegen den Nationalsozialismus interpretiert wurde. Außer den kolportierten Aussagen von Hagenauer liegen keine Darstellungen von anderen Personen vor.
Das lässt Zweifel an dieser Darstellung aufkommen. Es scheint, dass Hagenauer, der Gründer des OKB, selbst der Urheber jener Legende ist, die sich nach 1945 natürlich außerordentlich gut ausnahm.

Diese Lesart von der Entgegensetzung zur NS-Kunstpolitik, die sich mit der Gründung des OKB verbunden haben soll, ist von einigen begierig aufgenommen worden.

Peter Merck, Vorsitzender des OKB von 1971-1975, spricht von diesem im Rückblick als „politisch-oppositionellem Künstlerbund“ (Heimat im Bild, Mai 1973). Als künstlerischen „Kampfbund“ bezeichnet ihn Rudolf Härtl im Katalog einer Ausstellung von Hagenauers Bildern. Dagmar Klein sieht 1996 in der Gründung ein „ungewöhnliches Ereignis“, das für „Furore“ sorgte. Mit dem OKB sollten Ausstellungen „jenseits nationalsozialistischer Kunstdiktate“ (Hess. Heimat 8/13.4.1996) veranstaltet werden können. Der gegenwärtige Vorsitzende spricht in der Festschrift zum 75jährigen Bestehen 2018 von „Protest“ und „couragierter Demonstration.“

Was ist von der Gründung des OKB im Lichte solcher Interpretationen zu halten? Indes gab es auch andere Sichtweisen. Der seinerzeitige Kulturdezernent der Stadt Gießen K.F. Ertel bestritt 1973 eine Gründung aus „politisch-oppositionellen“ Gründen, da viele OKB-Mitglieder in der Partei waren (vgl. Horz, Christine: Der Oberhessische Künstlerbund – Aspekte regionalen Kunstschaffens. Wiss. Hausarbeit, Erste Staatsprüfung, Universität Gießen, 1992, S.3).

Wir begegnen hier einer schwierigen und widersprüchlichen Situation. Sollte es solche Impulse gegeben haben und wären sie erkennbar gewesen, so wäre die Gründung sofort im Keim erstickt worden. Sollten sie nur in einem Absichtsbereich existiert haben, ohne in irgendeiner Form existent zu werden, so wäre dies völlig irrelevant gewesen.

Andererseits ist es möglich, dass eine konventionelle Gründung nachträglich mit einem Widerstandsmuster versehen wurde. Angesichts der völlig unzulänglichen Informationen erscheint es als wahrscheinlich, dass Hagenauer selbst der Urheber dieser Vorstellung war, der OKB positioniere sich entgegengesetzt zur Nazi-Politik, und dass dies mehr gute Absicht als Realität war und sich diese Absicht nach 1945 so herausschälte als sei es Realität gewesen.

Als Walter Kröll sich nach 1945 vor der Spruchkammer in Gießen verantworten mußte, gab Hagenauer 1947 eine „eidesstattliche Erklärung“ gab, in der es heißt: Kröll sei ein „Mitbegründer des Oberhessischen Künstlerbundes, welcher im Jahre 1943 gegen die nat.-soz. Kunstauffassungen gegründet wurde.“ (Hans Hagenauer: Eidesstattliche Erklärung, 26.8.1947, HHStAW, 520/16,18562)

Dies ist nichts als eine Behauptung, für die nichts spricht, für die es keine Belege gibt. Sie stammt von dem Mann, der 1943 den Künstlerbund mit der Reichskammer für Bildende Kunst gegründet hatte.

Was Hagenauer in einem internen Rechenschaftsbericht äußerte, ist nicht bekannt, weil der OKB diese historischen Materialien unter Verschluss hält. In einer wissenschaftlichen Hausarbeit (vgl. Horz 1992), die im Stadtarchiv Gießen archiviert ist, wird aus einem „Jahresbericht 47/48“ von Hagenauer zitiert.

In diesem Bericht spricht Hagenauer davon, dass die Arbeiten oberhessischer Maler vom Kreisbeauftragten der Reichskammer für bildende Kunst als „nicht empfehlenswert“ (vgl. Horz 1992, S.3) dargestellt wurden. Genaueres nennt Hagenauer nicht. So bleibt dieses wie vieles andere – eine Beschwerde Hagenauers bei der NS-Landesleitung, die Unterstützung Hagenauers durch den Gaukulturwart Alwin Rueffer – aufgrund der Quellenlage vage, nicht nachprüfbar.

Horz resümiert „Hagenauers Gedanke“ so, ohne allerdings eine Quelle zu nennen und dies bleibt die Schwäche dieser Aussage: „Der Verein sollte die Aufgabe haben … einen Gegenpol zur herrschenden Kunstauffassung zu bilden.“ (Horz 1992, S.3)

Alle diese Interpretationen vertragen sich nur schwer mit dem Akt der Gründung wie auch den in der Folge ausgestellten Werken. Im Gegensatz zu Dagmar Kleins Darstellung, der Gaukulturwart Rueffer habe die Zwangsmitgliedschaft des OKB in der Reichskulturkammer vermieden (vgl. Dagmar Klein: Oberhessischer Künstlerbund wird 70 Jahre alt, GAZ, 16. Juli 2013), war die Gründung des OKB eine Gründung der Reichskulturkammer. Die Gründung des OKB war durch den Landesleiter der Reichskulturkammer, Prof. Lieser angeregt worden (vgl. GA, 20. Mai1943).

Karl Lieser, geb. 1901, war ein durchwachsener Nazi: er promovierte 1929, habilitierte sich ein Jahr später; am 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP, im Juni 1933 in die SA ein. Er hatte an der TH Darmstadt den NS-Dozentenbund mitgegründet. 1935 wurde er Professor für Städtebau. Seit 1936 war er der Landesleiter Hessen-Nassau der Reichskammer der Bildenden Künste. Als solcher war er zuständig für die Entfernung von sog. „entarteter Kunst“ aus den Museen der Region. Sollte Lieser, der die Gründung des OKB anregte, von den „subversiven“ Unterströmungen in der Gründungsgruppe nichts bemerkt haben?

Lange vor der Gründungsversammlung im Mai 1943 (und vor der Hinrichtung Wills, die in einigen Darstellungen als Grund für die Gründung des OKB dargestellt) waren wesentliche Elemente des OKB unter Mitwirkung des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste in Berlin beschlossen worden. Das geht aus der Protokoll der Gründungsversammlung vom 18. Mai 1943 hervor: „Es erfolgt nun die Verlesung der Schriftstücke vom 16.2.1943 über die Genehmigung der Satzungen und Eingliederung des „Oberhessischen Künstlerbundes“ in die Reichskammer, Fachgruppe Kunst- und Künstlervereine… durch den Präsidenten der Reichskammer der bildendende Künste.“ (Protokoll der Gründungsversammlung des „Oberhessischen Künstlerbundes“ v. 18, Mai 1943, in: Horz 1992)

Der Vorsitzende des OKB Hagenauer war vom Präsidenten der RdbK ernannt worden (also nicht von Mitgliedern des OKB gewählt worden!); Carl Bourcarde wurde als stellvertr. Vorsitzender und Schriftführer sowie Hellmuth Mueller-Leutert als Rechnungsführer bestätigt. Beide waren Parteimitglieder: Helmuth Müller-Leutert seit 1.5.1933, Carl Bourcarde seit Februar 1941. Das war der Gründungsakt des „oppositionellen“ Künstlerbundes.

Der jetzige Oberhessische Künstlerbund verfügt offenbar den Entwurf einer Satzung aus seiner Gründungszeit, die er wie alle anderen Materialien unter Verschluss hält. In diesem Entwurf heißt es: “Der OKB bekennt sich zur Vielfalt der bildenden Kunst und ist offen für alle bildenden Künstler. Dabei ist nicht zu fragen, ob gegenständlich oder abstrakt, die Alternative heißt gut oder schlecht.“ (zit. in: 75 Jahre Oberhessischer Künstlerbund 1943-2018, Gießen, Mai 2018) Obgleich dieser Entwurf, so der jetzige OKB, Entwurf blieb, habe er „Geist und Handeln der OKB-Gründer“ verkörpert (vgl. ebd.).

Angesichts so vieler positiver Interpretationen und Unterstellungen muss man danach fragen, was der OKB faktisch gemacht hat, ob er einen ästhetischen Sprung nach vorne gemacht, z.B. aus dem Expressionismus, der schon in die Jahre kam, in die abstrakte Kunst.

Die erste Ausstellung des Oberhessischen Künstlerbundes fand am 12. Oktober 1943 statt. Es scheint, dass die Künstler, die angeblich im Geistes des Protestes standen, sich in die konventionellste Ecke der Kunst, die Landschaftsmalerei, zurückgezogen hatten, nach dem Motto: nur nicht auffallen, nur nichts machen, was im entferntesten an die internationale Kunst der Zeit erinnern könnte.

Lotte Bingmann-Droese, Parteimitglied, die sich in den 30er Jahren den „Anforderungen des NS-Regimes an die Bildenden Künstler“ (Wikipedia) anpasste, präsentierte Erntebilder, Kähne nach dem Gewitter, wartende Fischerfrauen.

OKB-Mitgründer Walter Kröll, der mit deftigen NS-Sujets („Pimpfe“ und „Hitlerjungen“, „Trommler“, „Fahnenträger „ „Soldatenbilder“, das große Hitler-Bild, das in der Aula aufgehängt wurde) hervorgetreten war, steuerte ein Doppelportrait „Kameraden“ bei und zog sich mit „Straße in Gießen“ auf Atmosphärisches zurück.

Auch Hagenauer trat die Flucht in die Landschaft an: Kornfelder, Bergsee, schlesische Landschaft. Landschaften dominieren in den meisten Bilder: bei Müller-Leutert (Bei der Ernte, Strandbild Ostsee, Alpsee), Fritz Bender (Russische Landschaft, Russisches Dorf), der verstorbene Felix Klipstein (Ruine Arnsburg, Strumpfweberhaus). Lediglich der Bildhauer Carl Bourcarde trat mit seinem „Führerkopf“ aus diesem Dunstkreis der Unverbindlichkeit hervor. Obgleich der Landrat Dr. Lotz davon sprach, dass der Krieg als Vater aller Dinge auch der Kunst neue Aufgabe stelle, ist davon in den neueren Arbeiten im OKB nichts zu spüren. Der OKB geht weder in eine staats- und ns-affine Richtung noch in die Richtung der Modernität, deren Signatur die Auflösung der Gegenständlichkeit ist. Er verbleibt im Konventionellsten; von einem Aufbruch, einer Entgegensetzung zur verordneten Kunst der Zeit ist nichts zu verspüren. Und diese gibt es auch nicht. All diese Momente einer vorgeblichen Oppositionalität sind nach 1945 dem Verein von Hagenauer unterschoben worden.

 

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