Beteiligungstage für das „Landgrafenschloss der Zukunft“

14.04.2024 (pm/red) Im Zuge des Projekts „Landgrafenschloss der Zukunft“ laden die Philipps-Universität Marburg und die Universitätsstadt Marburg alle Interessierten zu Beteiligungstagen am 19. und 20. April 2024 ein, sich mit Ideen und Wissen an der …

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Das Berliner Dreier-Bündnis und das Zentrifugale

09.12.2021 Gastbeitrag von Felix Hambeeker Der Koalitionsvertrag der neuen Regierung Scholz als Dreier-Bündnis zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist von vielen analysiert worden. Darin finden sich markante Maßnahmen und Vorhaben benannt, oder eben gerade nicht. Es braucht keine prophetischen Gaben um einzuschätzen, dass es schwer und schwierig bestellt sein wird für das deklamierte Motto Mehr Fortschritt wagen. Dafür und dagegen ignorieren alle drei Parteien und ihre personalen Repräsentanten zu viele Probleme und übergehen zugleich weitreichende Fragen und Widersprüchlichkeiten. So wird dem Zauber, der allem Neuen innewohne, unschwer und absehbar schnell Zentrifugales entgegenwirken.

Auffallen kann zunächst die Formelhaftigkeit, mit der Kanzler Scholz seine paritätische Männer-Frauen-Crew konstituiert hat. Wie bei verschiedenen Auftritten bereits augenfällig wurde, sind die Repräsentanten der ersten Reihe trotz alledem allesamt männlich. Dass im hohen Kontrast zum Profil von Kanzler Olaf Scholz dann gleich mehrere Ministerien an Personen bar jeglicher Amts-, Behörden- und Leitungserfahrungen besetzt wurden, kann alleine schon zu kritischen Verhältnissen führen. Einen langjährigen Nimbus wie seine Vorgängerin hat der neue Bundeskanzler nicht. Ihm würde man anders als Kanzlerin Merkel die Duldung von Fehlbesetzungen, wie Andreas Scheuer als  Verkehrsminister oder Jens Spahn als Gesundheitsminister, samt deren für Steuerzahler teuren Fehlentscheidungen kaum nachsehen. Dafür werden zukünftig Milliarden Euro fehlen.

Womit die Staatsfinanzen benannt sind. Frühzeitig war bekannt, dass es keine Steuererhöhungen für Besserverdienende und nicht für die trotz Krise anwachsenden großen Vermögen geben wird. Mission accomplished für den neuen Finanzminister Christian Lindner von der FDP. Von denen, die sich erheblicher Einkommens- und Vermögenszuwächse erfreuen, ist damit kein größerer Anteil an den künftigen Finanzierungsaufgaben zu erwarten. Weiter keine Vermögenssteuer, von Finanztransaktionssteuer ist sowieso keine Rede mehr. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes zur Entlastung der mittleren und unteren Einkommen wird es nicht geben. Hinzu kommen Positionierung und Einfluss des zukünftigen Finanzministers, dem die Schuldenbremse angelegen ist qua neoliberalen Politik- und Wirtschaftsverständnis im Interesse der besitzenden Klasse.

Nach ungezählten Talkshow-Auftritten mit häufig erratischen Aussagen und daneben liegenden Prognosen sind die Anforderungen an den zum Gesundheitsminister berufenen Karl Lauterbach von der SPD hoch. Es würde wenig überraschen, wenn von ihm anderes als ein strammer Kurs bei der weiteren Impf-Kampagne verfolgt würde. Jetzt sind keine Kommentare mehr gefragt. Es müsste gehen um wirksames Handeln mit Evidenzbasierung hinsichtlich der Maßnahmen überhaupt und hinsichtlich der medizinischen Grundlagen in besonderer Weise. Dass Lauterbach sich – wie nahezu alle Politiker – zum Fürsprecher einer allgemeinen Impfpflicht gewandelt hat, im März dieses Jahres hat er sich im Tweet gegen eine Impfpflicht ausgesprochen, wird niemanden überraschen.

Dass er seine Aussagen zur Schließung Krankenhäusern zurücknimmt, oder dass von ihm die zunehmende Personalmisere in den Kliniken wirksam angegangen werden könnte, steht nicht zu erwarten. Der neue Gesundheitsminister hat nicht alleine viele Aufgaben. Ein Weg aus der Krise müsste überhaupt erst formuliert werden. Engstirniges Promoten der „Boosterimpfungen“ verheißt nichts Gutes, verspricht eher das Prolongieren staatlich-dirigistischen Handelns, in dem zugleich offenbarer wird, dass den Viren mit bedingt wirksamen experimentellen Impfstoffen mit nur gewissen Schutzwirkungen für wenige Monate nicht beizukommen sein wird. Es wächst damit Unzufriedenheit vieler bei zunehmender Maßnahmen- und Obrigkeitsverdrossenheit, der Staatsorgane radikalisierend und zunehmend repressiv verstärkend gegenübertreten.

Größte Entäuschungen wird die Wählerschaft der Partei der Grünen hinnehmen müssen. Einer weiter gesicherter Energieversorgung soll unter der Maxime der CO2-Minderung zuwider gehandelt werden. Alleine der nachholende Ausbau CO2-neutraler Stromerzeugung der unter Merkel abgewürgten Energiewende ist Mammutaufgabe. Doch zunächst gehen die Atomkraftwerke vom Netz, 2030 soll die Kohleverstromung enden. Zugleich sollen 15 Millionen PKW bis 2030 auf die Straße, mit erheblichem zusätzlichem Stromerzeugungsbedarf. Wie längst berechnet, fehlen Tausende Windräder zur Stromerzeugung, siehe Bericht hier, es müsste die installierte Photovoltaikleistung von derzeit 59 Gigawatt auf mindestens 590 Gigawatt verzehnfacht werden, siehe Bericht hier. Damit steht Robert Habeck als neuer Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz vor mehr als nur einem Dilemma.

Dazu gesellt die neue Außenministerin Annalena Barbock, die eine Verhinderung der Inbetriebnahme von Nordstream 2 zur Gasversorgung als geopolitisches Anliegen gegen Putins Russland betreibt, und außerdem der irrigen Auffassung ist, auf Erdgas und Gaskraftwerke zur Stromversorgung aus Umweltgründen verzichten zu können. Es wird nur wenige überraschen, wenn die Entzauberung der ohnehin bescheiden vorhandenen Politikkomptenz der neuen Außenministerin in der neuen Regierung allen anderen Ressorts vorauseilen wird. Es wird sich zeigen, wie und ob überhaupt Baerbock als „Young Global Leader“ des Weltwirtschaftsforums der Verantwortung und den Anforderungen des Außenamtes genügen kann. Manch eine/r sieht hier die größte Sollbruchstelle.

Die SPD als größte Regierungspartei versucht das Soziale wieder nach vorne zu stellen. Der auf 12 Euro steigende Mindestlohn ist dafür zweifellos ein wichtiger Schritt. Es wird konterkariert durch die Anhebung der Minijobs auf über 500 Euro monatlich, indem prekäre Arbeitsverhältnisse weiter zulässig bleiben und den Sozialversicherungen Milliarden Einahmen entgehen. Die bestätigenden Aussagen zur Rentenhöhe von 48 Prozent müssen enttäuschen, zugleich wird erneut versäumt bisher Nichtversicherte in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Anstelle der Verbreiterung der Einzahler soll der Kapitalmarkt mittels eines 10 Milliarden-Aktienfonds zur Finanzierung einbezogen werden. Statt Abschaffung und Überwindung von Hartz IV kommt lediglich ein nominelles Umfirmieren zum Bürgergeld.

Eine neoliberale von der FDP sogar verstärkt exerzierte  Steuer- und Finanzpolitik, ein engführendes Verschärfen von perpetuierten Impfkampagnen durch den Gesundheitsminister, Zielkonflikte in der Wirtschafts- und Umweltpoltik unter GRÜNER Federführung und eine auf Konfrontation angelegte Außenpolitik mit irritierenden Ansagen gegen Russland und China transportieren bereits mehr als genug zentrifugale Kräfte in der neuen Bundesregierung. Die Maßnahmen zu Gunsten von Geringverdienern und breiterer Bevölkerungskreise in Umsetzung sozialdemokratischer Anliegen mag zunächst stabilisierend wirken. Doch damit sind keine Mittel gegen Wohnungsnot und Mietwucher zur Hand. Schwindende Tarifbindung und sich ausbreitende prekäre Arbeitsverhältnisse in der wachsenden Internetökonomie unterhöhlen bisherige Beschäftigungssicherheiten.

Das Dreier-Bündnis mit vielen divergierenden Politikanliegen will und muss Widersprüchliches leisten. Dafür stehen einige Minister in besonderer Weise. Probleme, Brüche und Scheitern sind mehrfach angelegt und absehbar. Das wird schnell herausfordernd für die Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Anders als vorhergehende Koalitionen treten die drei unterschiedlichen Parteien während einer Mehrfach-Krise an. Damit können zentrifugale Kräfte schnell destruktiv werden. Können sie das Dreier-Bündnis zum Trio infernale mutieren lassen?

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