Kasseler Klimaschutzpreis 2024 verliehen

22.04.2024 (pm/red) Die Gewinnerinnen und Gewinner des zweiten Kasseler Klimaschutzpreises stehen fest. Am 21. April wurden die Preise auf dem Tag der Erde überreicht. Die Ausgezeichneten sind: Scientist for Future Kassel in der Kategorie „Personengruppe“ …

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Gesellschaftlicher Wohlstand in der Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen

27.01.2022 (pm) Die Covid-Pandemie, die in Deutschland vor zwei Jahren mit dem ersten gemeldeten Fall begann, hat hierzulande bislang mehr als 116.000 Menschen das Leben gekostet. Die deutsche Wirtschaft wurde erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Auch den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand hat die Corona-Krise damit deutlich reduziert. Allerdings fiel der Wohlfahrtsverlust im ersten Jahr der Pandemie etwas geringer aus als der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Das zeigt der neue „Nationale Wohlfahrtsindex 2021“ (NWI 2021), dessen Berechnung das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung fördert: Während das BIP 2020 um 4,6 Prozent sank, ging der gesellschaftliche Wohlstand nach der Definition des NWI um 3,5 Prozent zurück. Grund dafür ist, dass umweltschädliche Effekte wie die Emissionen von Luftschadstoffen und Treibhausgase sich verringerten, als Mobilität und Wirtschaftstätigkeit zur Pandemieabwehr reduziert wurden.

Indirekt wirkte sich auch die erfolgreiche staatliche Stabilisierungspolitik aus, die Einkommensverluste reduzierte, etwa durch Kurzarbeitsgeld und Hilfszahlungen. Trotzdem entstand 2020 laut NWI unter dem Strich ein Wohlstandsverlust von mehr als 50 Milliarden Euro, vor allem, weil der Konsum der Privathaushalte stark sank.

„Die Corona-Pandemie sorgte damit für ein abruptes Ende des seit 2014 andauernden kontinuierlichen Anstiegs“ im NWI, „der auf steigenden Konsumausgaben und leicht abnehmenden Umweltkosten bei stagnierender Ungleichheit basierte“, schreiben Dr. Benjamin Held, Dorothee Rodenhäuser und Prof. Dr. Hans Diefenbacher vom Institut für Interdisziplinäre Forschung (FEST e.V.) in Heidelberg.

Die drei Fachleute aktualisieren den NWI jährlich. Aufgrund der großen Datenmenge und der teilweise verzögerten Datenverfügbarkeit kann der NWI aktuell aber lediglich die Situation im jeweils vorletzten Jahr darstellen. Erste Zahlen für 2021 sollen im Herbst dieses Jahres vorliegen.

Der Rückgang 2020 ist auch deshalb problematisch, weil der im NWI gemessene Wohlstand 2019 gerade einmal wieder das Niveau des Jahres 2000 erreicht hatte. In den 2000er Jahren war er deutlich gesunken, weil die Ungleichheit der Einkommen erheblich zugenommen hatte. Gelinge es in den kommenden Jahren, beim klimafreundlichen Umbau der Gesellschaft auch den sozialen Ausgleich zu stärken, könne der NWI aber wieder deutlich steigen und der Einbruch von 2020 eine Episode bleiben, zeigen die Forschenden.

21 Indikatoren von Konsum über Ungleichheit bis Luftverschmutzung

Der NWI hat das Ziel, Lücken zu schließen und Widersprüche aufzulösen, die sich bei der klassischen Methode der Wohlstandsmessung allein über das BIP ergeben. So kritisieren viele Fachleute, dass das Inlandsprodukt weder die Verteilung der Einkommen noch Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen angemessen erfasst. Beispielsweise steigern Sanierungsarbeiten, mit denen Umweltverschmutzungen beseitigt werden, in vollem Umfang das BIP.

Die Umweltschäden werden hingegen nicht negativ berücksichtigt. Der NWI behebt einige dieser Defizite. Das natürlich innerhalb methodischer Grenzen, wie Held, Rodenhäuser und Diefenbacher betonen: So kann auch der NWI in der Pandemie nicht die Wohlfahrtsverluste durch menschliches Leid oder die Einschränkung von Sozialkontakten abbilden, weil sie sich nicht in Geldbeträgen ausdrücken lassen.

Die Forschenden beziehen für den NWI insgesamt 21 Komponenten ein, um ein realistischeres Bild zu erhalten. Zu den wichtigsten zählt der private Konsum, der mit dem Gini-Koeffizienten und weiteren Kennziffern zur Einkommensverteilung gewichtet wird. Das heißt: Wird die Verteilung der Einkommen in Deutschland ausgeglichener, gibt das Pluspunkte beim Konsum, steigende Ungleichheit führt zu einem Abzug.

Das begründen die Forschenden nicht moralisch, sondern ökonomisch: Wenn zusätzliche Einkommen Menschen mit geringeren Einkommen zufließen, stiften sie dort einen höheren „Grenznutzen des Konsums“ als bei Reichen, bei deren Einkommen der gleiche absolute Zuwachs kaum ins Gewicht fällt und die gleichzeitig bereits sehr gut mit Gütern und Dienstleistungen versorgt sind.

Darüber hinaus erfasst der NWI unter anderem auch die Wertschöpfung durch Hausarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten sowie einen Teil der staatlichen Konsumausgaben als wohlfahrtsstiftend. Von der Bilanz abgezogen werden dagegen etwa Aufwendungen zur Kompensation von Umweltbelastungen, Ersatzkosten für den Verbrauch nicht-erneuerbarer Energieträger, Schäden durch Luftverschmutzung, Treibhausgase oder Lärmbelästigung sowie Kosten, die durch Verkehrsunfälle entstehen.

Auf diese Weise haben die Forschenden in ihre Berechnung Korrekturen eingebaut, um „Schattenseiten“ des grundsätzlich positiv gewerteten Konsums zu erfassen. Da bislang für viele Umweltbelastungen noch nicht genug Daten oder realistische „Preise“ vorliegen, gehen die FEST-Fachleute selbst von einer „Unterbewertung ökologischer Aspekte im NWI“ aus. In den auch nach der Aktualisierung der Methodik zum NWI 3.0 im vergangenen Jahr weiterhin geplanten künftigen Updates des Indikators wollen sie sich der Realität weiter annähern.

Der NWI zeichnet die Wohlfahrtsentwicklung im Vergleich zum Wirtschaftswachstum seit 1991 nach und arbeitet dabei mit einem Punktesystem, das im Jahr 2000 für beide Größen auf 100 indexiert ist.

2020: Wohlstandsverlust von 51 Milliarden Euro

Der Rückgang im NWI um 3,5 Prozent im Jahr 2020 entspricht einem absoluten Wohlstandsverlust von 51 Milliarden Euro. Dieser ergibt sich vor allem aus einem Einbruch des privaten Konsums um 117 Milliarden Euro. Zusätzlich zu den in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesenen geringeren Konsumausgaben kalkulieren die FEST-Forschenden dabei auch einen kleinen Abschlag für den geringeren (subjektiven) „Nutzen“, den beispielsweise Ausgaben für Bildungs- oder Kulturveranstaltungen unter einschränkenden Corona-Bedingungen gehabt haben. Das tun sie auch für den Staatskonsum, weshalb auch dieser im NWI zurückgegangen ist.

Demgegenüber stehen an positiven Effekten geringere Kosten durch den verminderten Ausstoß von Treibhausgasen und den Bezug von fossilen Energieträgern in Höhe von mehr als 40 Milliarden Euro. Ebenfalls rein rechnerisch dämpfend auf den Rückgang des NWI wirken die Abzüge auf Grund der Ungleichheit. Allerdings ergibt sich dieser Rückgang nur deswegen, weil der private Konsum insgesamt deutlich zurückging und die Kosten der Ungleichheit einen prozentualen Abzug davon darstellen.

Ohne diese relative Sicherweise ergibt sich ein anderes Bild: „Die vorliegenden Auswertungen des Gini-Koeffizienten aus dem Mikrozensus zeigen für Deutschland im Corona-Jahr 2020 einen leichten Anstieg der Einkommensungleichheit“, betonen Held, Rodenhäuser und Diefenbacher.

Ausblick: Großes Potenzial für höheren Wohlstand durch sozial-ökologischen Umbau

Ob der Rückgang des Wohlstands durch die Corona-Krise vorübergehend bleibt oder nicht, hängt nach Analyse der Forschenden sowohl von der sozialen als auch der ökologischen Entwicklung in den kommenden Jahren ab. Wie groß die Potenziale eines erfolgreichen sozial-ökologischen Umbaus sein könnten, zeigen die FEST-Fachleute anhand von zwei groben Kalkulationen: Wenn es gelinge, die Einkommensungleichheit, gemessen am Gini-Koeffizienten in Deutschland, wieder auf das Niveau des Jahres 1991 zurückzuführen, würde der NWI ceteris paribus um 17 Indexpunkte ansteigen – von 95,7 Punkten 2020 auf rund 112 Punkte.

Und würden „auf dem Weg zu einer Erfüllung des Abkommens von Paris die Kosten durch Treibhausgasemissionen und durch den Verbrauch nicht-erneuerbarer Energieträger im Vergleich zu denen des Jahres 2020 halbiert, so würde sich der NWI ceteris paribus um 13 Indexpunkte erhöhen“, schreiben Held, Rodenhäuser und Diefenbacher.

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