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ISU Marburg – jungen Menschen aus der ganzen Welt Möglichkeiten geben offen und neugierig aufeinander zu zugehen und voneinander zu lernen

dbau0805_0136 Teilnehmer ISUMarburg 140808 yb) Derzeit findet in Marburg wieder die Internationale Sommeruniversität (ISU) statt. 40 junge Studierende aus vielen Ländern sind dabei und machen lernend viele eindrucksvolle Erfahrungen bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Problemen im Nahen Osten. Die Redaktion von das Marburger. hat anlässlich des Empfangs der studentischen ISU-Teilnehmer durch Oberbürgermeister Egon Vaupel ein Gespräch über die ISUgeführt. Deren Direktor, PD Dr. Johannes M. Becker, und Assistentin Lydia Koblofsky erläutern in ihren Aussagen viele Fakten und Hintergründe der ungewöhnlichen universitären Sommerveranstaltung an der Philipps-Universität.

Oberbürgermeister Egon Vaupel und ISU-Direktor Johannes M.Becker beim Empfang im Rathaus. Foto Hartwig Bambey

Oberbürgermeister Egon Vaupel und ISU-Direktor Johannes M.Becker beim Empfang im Rathaus. Fotografien von Hartwig Bambey

Redaktion: Was ist der Themenschwerpunkt bei der Hessischen Internationalen Sommeruniversität (ISU) in Marburg, Herr Becker?
Becker: „Europa und die MENA-Region, der Nahe und Mittlere Osten sowie Nordafrkia, im Wandel“ haben wir als Themenkomplex avisiert. Die gesamnte Region ist im Umbruch, und die beiden beteiligten Zentren, das Zentrum für Konfliktforschung und das Centrum für Nah- und Mittelost-Studien, können einiges zur Diskusssion beitragen.

Redaktion: Spielt dabei die aktuelle kriegerische Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina, dort dem Gazastreifen eine besondere Rolle? Wie wird dies thematisiert und diskutiert?
Becker: Wir haben ein Seminar mit dem Fokus auf Palästina und Israel. Und insgesamt schwingt das Thema, wie übrigens auch die Krise in der Ukraine, während der gesamten Sommeruniversität in den Diskussionen mit. Wir haben mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den betroffenen Ländern zu Gast in Marburg.

dbau0805_0139 Lydia KoblofskyKoblofsky: Viel Austausch und Diskussion zwischen den Teilnehmenden findet auch außerhalb des offiziellen Programms statt, z.B. während einer der Exkursionen, beim abendlichen Kneipenbesuch oder dem gemeinsamen Picknick an der Lahn. Die Begegnung zwischen jungen Menschen aus unterschiedlichen Kontexten – geographisch, religiös, kulturell, politisch… – ist eine sehr wichtige Komponente der ISU. Wir bekommen oft Rückmeldungen von ehemaligen Teilnehmenden, dass dies eine der
wichtigsten Erfahrungen während ihres Aufenthaltes in Marburg war. Einige der jungen Menschen könnten sich in ihren jeweiligen Heimatländern nie begegnen, so zum Beispiel Studierende aus Syrien und Israel.

Redaktion: Was sind die hauptsächlichen Angebote der ISU für die Teilnehmerinnen, Frau Koblofsky?

Koblofsky: Neben den Deutschkursen und Fachseminaren rund um das Thema „Europa und der Nahe- und Mittelere Osten im Wandel“ werden auch Sprachkurse in Arabisch, Hebräisch und Türkisch angeboten. Wir besuchen auch immer die muslimische und jüdische Gemeinde, sind beim Oberbürgermeister zu Gast, bieten einmal pro Woche einen thematisch passenden Film an. Dieses Jahr wurde auch ein Vortrag von einer unserer Lehrenden, Prof. Randa Aboubakr aus Kairo, zu ‚Humor und Protestbewegungen mit Bezug zum Arabischen Frühling‘ angeboten. Dieses reichhaltige Programm unter der Woche wird durch drei Wochenendexkursionen nach Frankfurt Main, Straßburg und Kassel ergänzt. Dabei wechseln sich thematisch passende Angebote wie ein Besuch im jüdischen Museum Frankfurt oder eine Führung im ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler/Le Struthof bei Straßburg mit eher allgemeinpolitischen und kulturellen Teilen ab. Dazu gehört beispielsweise auch die Besichtigung des Bergpark Willhelmshöhe in Kassel, der letztes Jahr in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen worden ist.

Redaktion: Ist die ISU so etwas wie ein Baustein der Philipps-Universität internationaler Ausrichtung in der Folge des Bolognaprozesses?
Becker: Die ISU ist einer der, lassen Sie es mich so ausdrucken, Passports der Philipps-Universität für ihre internationale Arbeit. Neben vielem anderen erleichtert die Teilnahme von Studierenden von Partneruniversitäten wiederum das Studium unserer Marburger Studierenden im Ausland.

dbau0805_0183 ISU-Teilnehmer 2014Redaktion: Woher kommen die Teilnehmerinnen und was erleben und lernen sie mit der ISU?
Koblofsky: Wir haben dieses Jahr ca. 40 Studierende aus insgesamt 14 verschiedenen Ländern, darunter Tunesien, Mexiko, Sudan, Israel, China, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und auch aus Deutschland/Marburg. Natürlich sind die wissenschaftlichen Kurse zu Europa und dem Nahen- und Mittleren Osten ein ganz wichtiger Bestandteil der ISU, der eine akademische Auseinandersetzung mit der Region ermöglicht, die sowohl durch die disziplinäre Vielfalt der Teilnehmenden als auch durch die unterschiedlichen biographischen Hintergründe bereichert wird.

Doch das Gespräch zwischen den jungen Menschen endet nicht an der Tür der Seminarräume, sondern wird bei vielen Gelegenheiten innerhalb und außerhalb des Programms fortgesetzt. Wie schon gesagt ist auch die menschliche Auseinandersetzung – im Dialog – mit Menschen, die aus völlig anderen Lebenswelten kommen, eine Lernerfahrung, die häufig weit über die Sommeruni hinaus wirkt, teilweise zu Freundschaften, gegenseitigen Besuchen, weiterem wissenschaftlichem Austausch beiträgt. Wobei die Lebenswelten nicht zwangsläufig durch Ländergrenzen voneinander getrennt sein müssen. Ein arabischer Israeli und eine jüdische Israelin begegenen sich evtl. in Deutschland – auf neutralem Boden und in entspannter Atmosphäre – völlig anders, als dies Zuhause der Fall wäre.
dbau0805_0139 Johannes M.BeckerWas die Studierenden lernen und mit nach Hause nehmen könnten sie selbst bestimmt viel besser beschreiben. Meine Hoffnung und Überzeugung ist, dass wir mit einem internationalen Studien- und Begegnungsprogramm wie der ISU Marburg jungen Menschen aus der ganzen Welt die Möglichkeit geben offenen und neugierig aufeinander zu zugehen und voneinander zu lernen. Eine kleine Geschichte als Abschluss zu dieser Frage, die mir erst heute eine israelische Teilnehmerin erzählt hat. Nach dem Hebräischkurs hat sie zusammen mit einer muslimischen Studentin aus dem Iran einen kurzen Absatz aus der Bibel vom Hebräischen ins Englische übersetzt: „Dieses Erlebnis war so unglaublich, dass ich es sicher nie mehr vergessen werde,“ meinte sie danach zu mir.

Redaktion: Was sind ihre Aufgaben bei der ISU als Assistentin des Direktors, Frau Koblofsky, und wie erleben sie die Studierenden aus vielen Ländern?
Koblofsky: Ich bin Ansprechpartnerin für unsere internationalen Lehrenden, die übrigens ähnlich wie die Studierenden aus ganz verschiedenen Ländern kommen, Ägypten, USA/Israel, Türkei, Kanada. Außerdem begleite ich das Lehrprogramm organisatorisch und gestalte ich die Abendveranstaltungen und zusammen mit Johannes Becker die Exkursionen am Wochenende. Aber natürlich verbringe ich zwischen den offiziellen Aufgaben ebenfalls viel Zeit mit den Studierenden, was jedes Jahr auch für mich eine unglaubliche Bereicherung ist, die ich nicht missen möchte. Viele der Studierenden sind sehr interessiert, diskutieren und fragen viel, nicht nur zu fachlichen Themen, sondern eben auch zum Leben in Deutschland, in Europa,wollen Hilfe beim Deutschlernen oder einfach nur wissen, wo es das beste Eis oder die beste Musik zum Tanzen gibt. Natürlich steckt in unserem Thema, gerade in der aktuellen Situation, sehr viel Zündstoff und das macht sich natürlich auch immer wieder in den sehr emotionalen Gesprächen bemerkbar. Viele unserer Studierenden sind ja ganz direkt, existenziell von Konflikten betroffen…

Redaktion: ‚Europa und der Nahen Osten im Wandel‘ als Thema birgt eine Vielzahl kriegerischer Konflikte. Der ‚Bürgerkrieg‘ in Syrien, die Transformationen in Ägypten, der aktuelle Krieg im Gazastreifen sind nur einige der Konfliktfelder. Wie stellt sich die Entwicklung wachsender Auseinandersetzungen für sie als Friedensforscher dar, Herr Becker? Reicht es aus eine wachsende Erstarkung islamistischer Kräfte als Erklärung zu nehmen?
Becker: Nun, es gab in diesen Ländern der Region einen – lassen Sie es mich nennen – Demokratisierungs- oder Modernisierungsdruck. Die Welt hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes rasch verändert, die MENA-Region blieb hiervon lange Zeit unberührt. Und nun ist eine gewaltige Bewegung entstanden. Die Bildungs- und die Mittelschichten lehnten die autoritären Regime mehr und mehr ab.

Redaktion: Wo sehen sie mögliche Perspektiven für eine politische Stabilisierung im Nahen Osten? Neben dem ungelösten Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern gerät die ganze Region zunehmend in anhaltende Destabilisierung. Müssen ‚Failed States‘ in Gestalt des Irak oder Lybien als kommende Tatsachen akzeptiert werden, Herr Becker?
Becker: Zwei Dinge möchte ich hier antworten. Zum einen zu den Ländern Irak und Libyen: Dort hat der Westen Krieg geführt und ein großes Desaster hinterlassen. Hier stellt sich die Frage, auf welch anderen als Kriegs-Wegen kann das Ausland auf Demorkatisierung und Partizipation hinwirken? Die Kriege sind jedenfalls katastrophal in ihren Auswirkungen. (Diese wirken ja im Falle Libyen noch weiter: Mali wurde destabilisiert, und dann die Zentralafrikanische Republik…)

Zum anderen müssen Lehren aus dem aktuellen Desaster in Israel/Gaza gezogen werden, damit sich nicht in zwei Jahren das Ganze wiederholt. Israel muss sich; ebenso wie die politisch Verantwortlichen in den palästinenschischen Gebieten, an das Völkerrecht halten, und es muss die arabische und muslimische Bevölkerung in Palästina gleichbehandeln. Dann wird der Druck auf die palästinensische Autoritätsbehörde wachsen, die radikalen Kräfte in den eigenen Reihen zurückzudrängen. Die Sucht nach Frieden wird sich in den kommenden Wochen, hält der Waffenstillstand, stark entwickeln. Auch in der Westbank und in Gaza will die Jugend Zukunft planen können – mit Raketenbeschuss und dem darauf folgenden Bombardement wird alles verunmöglicht.
Schließlich, dies habe ich im Frühjahr auf einer Vortragsreise nach Israel versucht darzulegen, müssen noch einmal weitere Horizonte angegangen werden. Bei unserer Exkursion nach Strasbourg haben wir viel über die französischen-deutschen Beziehungen, über die gesamte europäische Einigungsdynamik nach 1945, gesprochen. Möglicherweise gibt es hier Lehren zu ziehen…

dbau0805_0188 nGruppenbild ISU 2014Redaktion: Die ISU-Teilnehmer waren zum Empfang im Rathaus von Oberbürgermeister Vaupel eingeladen. Wie erleben TeilnehmerInnen Marburg, die Universität und was nehmen sie mit nach Hause?
Becker: Die Stadt und unsere Universität vermitteln unseren Gästen ein wundervolles Klima an Gastfreundschaft und Frieden in Wohlstand. Die ISU ist ein ideales Instrument für die interkulturelle Auseinandersetzung, für den Abbau von Feindbildern, für ein friedliches Miteinander. Für friedlichen Streit, für das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven auf Politik und Konflikte.

Koblofsky: …und sie nehmen natürlich viele Kontakte mit nach Hause. Es gibt immer wieder Verbindungen die auch nach der ISU weiter bestehen, ob sich die Studierenden bei einer Reise in den Nahen Osten oder in Europa wiedersehen, später vielleicht sogar beruflich miteinander zu tun haben, oder virtuell über Facebook in Austausch bleiben.

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