Zur Zukunft des Landgrafenschlosses Marburg –  mit arg konfusen Vorschlägen eines Planungsbüros

12.12.2024 (pm/red) Das Marburger Landgrafenschloss soll zu einem Museums-, Kultur- und Erlebnisort werden: Wie das einmal aussehen könnte, zeigt das Zukunftskonzept des Büros Space4, das vor dem Beirat und dem Kuratorium zur Schlossentwicklung vorgestellt wurde. …

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Themenabend ‚Wem gehört die Stadt ?‘ zeigt Fragen und Probleme auf

In den Sitzungssaal der Stadtverordneten hatte die Lokale Agenda 21 zu einem ambitionierten Themenabend über Stadtentwicklung eingeladen.

Marburg 4.5.2012 (yb) Die  Lokale Agenda 21 Gruppe ‚Nachhaltige Stadtentwicklung-Verkehr-und Ökologie‘ hatte zum Themenabend eingeladen. Werner Girgert als (Stadt-)Soziologe referierte. ‚Wem gehört die Stadt?‘ lautete die thematische Fragestellung. Sie wurde vom Referenten nicht beantwortet und veranlasste so später einen Teilnehmer zur Nachfrage. Stattdesssen lieferte Girgert viele Aussagen und Hinweise was in und mit ‚der Stadt‘ passiert – das meinte zunächst Megastädte und Global Cities. Girgert gab viele Beispiele neoliberaler Ökonomisierungsstrategien mit Überformung und Deformierung des Lebens-, Wirtschafts- und Kulturraumes Stadt, angetrieben von ökonomischen Trägern in Zeiten der Globalisierung. Beispiele aus Frankfurt, Berlin, Hamburg oder New York machten anschaulich, wie Quartiere und ganze Stadtteile (Prenzlauer Berg) von Investoren aufgekauft, baulich aufgewertet und verdichtet werden. Soziale Verdrängungs- und Gentrifizierungsprozesse sind Folgen.

Für Marburg beleuchtete Girgert nicht eigentlich Eigentumsfragen – worüber Grundbuch, Mietspiegel und Immobilienmarktbericht informieren –  sondern beschrieb Eigenarten und Veränderungen im Selbstverständnis von Stadt Marburg, deren Politik und Stadtverwaltung, gipfelnd in wachsender Ökonomisierung von Stadtkultur. Girgert benannte viele Phänomene gemachter Stadtveränderung – ob im Großen oder vor Ort in Marburg – und veranschaulichte deren marktorientierte Erscheinungsformen zunehmend in Investorenhand. Zugleich vermied er es Triebkräfte zu benennen, ‚Kapitalismus‘ gar ‚Finanzmarktkapitalismus‘ als Begriffe, Deutungsversuche und Zuordnungen tauchten bei ihm nicht auf.

Auf einer Sub-Ebene, ein Stück weit eingeordnet mit beschreibenden Kategorien, bekam das Publikum gleichwohl viele Phänomene neoliberaler Stadtpolitiken vorgeführt. Sei es im einführenden Fotomotiv der von Billigmarktbauten zerstörten Sichtbeziehung auf ein gewesenes Stadtpanorama. Um es auch noch vorweg zu sagen: Werner Girgert brachte vieles, sehr vieles kritisch zur Sprache. Zugleich lies er es bewenden bei Verweis auf Wahlverhalten und geschwundenes Selbstverständnis von Stadt als Institut zur Daseinsvorsorge mit klarer Gemeinwohlorientierung.

Stadtentwicklung von und für Marburg als demokratisch gestalteter Prozess – mit zugrunde liegender definierter und selbstbewußter Stadtplanung – unterbleibt in allzu vielen Bereichen. Ein gestörtes und verletztes Stadtbild gibt Zeugnis, eventlastiger Kulturkommerz soll es richten. Das Referat wollte und konnte kein schlüssiges Gesamtbild für Marburg aufzeigen, dafür brauchte es einen anderen Rahmen. In Gegenüberstellung vorherrschender Trends im Großen unter dem Gesichtspunkt ‚Ökonomisierung von Stadtentwicklung‘ ist es gleichwohl gelungen unübersehbare Phänomene in Marburg ein Stück weit einzuordnen.

Dazu brauchte sich Girgert nicht aufhalten mit den augenfälligen zerstörerischen Eingriffen in das Stadtbild und die Struktur der Stadt. Die von der Stadtautobahn zerschnittene und belastete Innenstadt und der Bau des ‚Affenfelsen‘ machten vor Jahrzehnten den Auftakt. Das ‚Marktdreieck‘ am Erlenring markiert dafür einen ‚Höhepunkt‘ nicht jedoch das Ende. Der gewachsenen Stadt Marburg ist zweifelsohne viel ‚zugefügt‘ worden, wobei Investoreninteressen bestimmend waren. Die jüngere Baugeschichte, jeweils projektbezogen durchgesetzt und nicht städtebaulich motiviert und eingebettet, belegt, dass im vergleichsweisen kleinen Marburg dieselben Triebkräfte wirken, wie in Metropolen.

Im Zuge solcher profitgetriebenen Stadtentwicklung ist zugleich öffentliche Daseinsvorsorge im Rückzug, etwa im Wohnungsbau. Sozialer Wohnungsbau findet so gut wie nicht mehr statt, die Folge sind ansteigende Mietpreise. Dies zeigt sich in Marburg denn auch in extrem hohen Mieten.

Ein Vergleich der Mieten, hier mit nicht mehr aktuellen Tarifen, zeigt für Marburg den Mangel öffentlich geförderten Wohnungsbaus in Gestalt sehr hoher Mietpreise. (Grafik Referat Girgert)

Für Marburg ist zu konstatieren, dass nur noch eine Bestandsverwaltung und -erhaltung im öffentlichen Wohnungsbestand stattfindet. Dazu wird als Problem kommen, dass für viele Hundert Wohnungen die Sozialbindung der Mieten auslaufen wird. 

Anders als andere Städte hat die Stadtpolitik in Marburg bewußt darauf verzichtet die Stadtwerke und deren Aufgabenfelder zu privatisieren. Ein Pluspunkt. Gleichwohl ist mit der Abkehr von der Kameralistik, Umstrukturierung der Verwaltung und Ausformulierung des ‚Konzern Stadt Marburg‘ eine Wendung des Selbstverständnisses eingeleitet worden.

Die Stadt als Wirtschaftssubjekt im Selbstverständnis zeitigt Folgen.

Neoliberale Ökonomisierung erfasst längst die Stadt Marburg (und die Universität) und stellt sie in ein Wettbewerbsverhältnis zu jeder anderen Stadt. Ob Wohnstandort, Kultur und Tourismus im Marketing als Standortfaktor  – längst ist ein Repertoire von Instrumenten im Einsatz, um Wahrnehmung nach innen und außen zu ‚generieren‘. ‚Festivalisierung‘ und ‚Eventsierung‘ erscheinen als probate Mittel, verstärken zugleich die Standortkonkurrenz. Um darin zu bestehen braucht es immer neue (und wiederkehrende) Anlässe, Themen und Kampagnen.

Unvollständige Liste von ‚Events‘ im Jahreslauf kommerzialisierten Stadtkulturgeschehens in Marburg.

Begleitet und getragen sind diese Entwicklungen in Marburg von der allgemeinen ökonomischen Entwicklung. Folgen und Nutzen werden ungleicher verteilt, auch in Marburg – bei vergleichsweise stabilen Faktoren wie starker Pharmaindustrie, Finanzindustrie und Universität – finden wachsende Einkommenspolarisierung und Prekarisierung statt.

Ein nachdenklich gewordenes Publikum, darunter auch einige Stadtverordnete, am Ende des Themenabends bestätigte den Veranstalter Agendagruppen und Referenten Girgert in der Relevanz von Thema und Problemlagen. (Fotos © Hartwig Bambey mit den Grafiken von © Werner Girgert)

Das vom Referenten gewählte thematische Crossover mit vielen Beispielen zur ‚Ökonomisierung der Stadtentwicklung und ihren Folgen‘ in Marburg sollte und konnte zunächst nachdenklich machen und Fragen aufwerfen. Es ergab sich zum Ende ansatzweise eine Diskussion bis hin zur unbeantwortet gebliebenen Frage, wie Stadtentwicklung anders zu gestalten wäre. Die Folgen solcher Ökonomiserung, meint wachsenden, gar dominierenden Einfluss von Investoren, Marktgläubigkeit und Kommodifizierung des Kulturellen (Tourismus in Marburg boomt) sind unübersehbar. Ob sie gewollt sind und Perspektive für die Stadt und ihrer BürgerInnen eröffnen, wäre weiter und vertiefend zu betrachten und sollte als Frage an die Stadtpolitik(er) verstärkt herangetragen werden.

Anders als in dem für den Themenabend titelgebenden Gangsterfilm Wem gehört die Stadt? mit Humphrey Bogart und Edward G. Robinson gehört die Stadt Marburg jedenfalls nicht einem Gangstersyndikat. Über die zukünftige Stadtentwicklung können und sollten Bürger demokratisch entscheiden. Das passiert freilich nicht von alleine und irgendwie nebenbei.

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