Kasseler Klimaschutzpreis 2024 verliehen

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‚Ein Autor wohnt, wo er schreibt‘ – oder vom wunderbaren Gelingen eines Lesebuches

Marburg 21.8.2012 Eine Buchbesprechung ist Arbeit. Was für ein Wort. Ich meine das Wort Buchbesprechung, nicht das Wort Arbeit. Wer außer den Radiomachern – und vielleicht Buchhändlern im Gespräch mit Kunden – kann schon ein Buch besprechen. Hier in diesem Medium jedenfalls werden Bücher nicht besprochen sondern beschrieben. Aber das Wort Buchbeschreibung gibt es nicht, jedenfalls nicht für das, was mit Buchbesprechung gemeint ist. Bildbeschreibung das gibt es, gehört aber eher in den Bereich der Kunsthistoriker.
Für die Arbeit des Buchbesprechens liegt ein trefflicher Stapel auf der kleinen Anrichte. Jetzt ist er gerade etwas niedriger geworden. Die neue Praktikantin hat zwei Besprechungs-exemplare mitgenommen. Wird man sehen und die Leser können es dann wohl bald lesen. Abgesehen von der viel zu großen Zahl neu erscheinender Bücher im Allgemeinen gibt es auch in Marburg zu viele neue Bücher, die zu besprechen sind. Manche davon landen auf dem Stapel bei mir. Für kürzere oder längere Zeit, um zunächst gelesen und dann besprochen zu werden. Zuletzt war dies ein politisches Buch, zum Libyen-Krieg. Das war besonders viel Arbeit. Dieses Buch konnte man nicht nur anlesen. Es musste durchgelesen werden. Stundenlange Lektüre, verteilt über Tage, sogar Wochen. Harter, aber interessanter Lesestoff. Dann die Besprechung schreiben; jetzt findet sich diese oben in der Menüleiste im Marburger Bücherbord.

Schon wieder zwei Bücher aus dem Jonas Verlag sind neu gekommen, und wollen besprochen werden: Jüdische Regionalforschung und –geschichte, Fotogeschichte. Dazu sogar ein Drittes. Ein Lesebuch, eigentlich eher ein Bändchen. Es sieht ein wenig aus wie früher die Inselausgaben. Also schön. Mit grün-marmoriertem Umschlag.
Wo ich wohne – Schriftstellerische Annäherungen an das Literaturland Hessen ist der Titel, des von Ruth Fühner herausgegebenen Lesebuches mit 110 Seiten.
Irgendwie war mir klar, dass es mit diesem Buch und seiner Rezension anders werden könnte. Weniger Arbeit, oder jedenfalls eine andere Arbeit. Kurze, zwei, drei Seiten lange Beiträge von zeitgenössischen SchriftstellerInnen, die in Hessen leben, versprechen eher kurzweilige Lektüre. Stimmt, ausgesprochen, so viel sei jetzt schon mitgeteilt.

Vorsichtshalber hatte ich den Anfang des Lesens vergangene Woche in eine Situation mit wenig Zeit gelegt. Als einzigen Beitrag hatte ich mir zunächst den von Ulrich Holbein als in Nordhessen lebenden Schriftsteller ausgesucht. In Nordhessen habe ich selbst lange gewohnt. Schöne wunderbar entrückte Wohnlage, ein einstimmender Leseanfang.

Jetzt also, vor etwas mehr als einer Stunde, weiter lesen. Diesmal war ich nicht so vorsichtig. Leseort (und jetzt Schreibort) ist der Balkon meiner Wohnung unter rotem Sonnenschirm am südlichen Ortsrand von Marburg, keine 20 Meter von der dortigen Umgehungsstraße ab gelegen. Die Hitze des vergangenen Wochenendes ist durch, ein leichtes Lüftchen bei beschatteter Sitzweise im spät erst gewordenen Sommer diesen Jahres.
Was soll ich sagen, oder besser wie. Ich habe das Lesebuch durch gelesen. Alle Beiträge. Ratz Fatz. Unterbrochen nur um Wasser zu holen und dann noch einmal um Kaffee zu kochen zu Broten mit Pfirsichmarmelade. Das hat die Lesezeit verlängert. Etwas. Leider nur.

„Wo ich wohne“, „Die Gegend“, „Als Kind“, „Am liebsten“, „Ich lebte“ und „Seit meiner Geburt“ sind einige der Anfänge der – wenn man so will – besonderen Wohnbiografien von Autorinnen und Autoren. Insgesamt finden sich 20 treffliche Beiträge. Viele wohnen in Frankfurt, eigentlich erstaunlich viele, ebenso viele wohnen in kleinen Städten oder am Rand von solchen. Das Spektrum ist groß reicht von einer Doppelhaushälfte (Hans Zippert) über Mietwohnung in einer Straße aus der Jugendstilzeit (Martin Mosebach) bis zum einsamen wild umwucherten Waldhaus (Ulrich Holbein) irgendwo im Knüll. Der mittlere Westen in Kassel (Ingrid Mylo) ist Wohnort – nahe zum Quartier, in dem Samuel Beckett gastierte und heute als Namensgeber herhält. In Marburg ist es der Wehrdaer Weg (Anna Rheinsberg). So geht es weiter in den Vogelsberg, in den Taunus und an andere Wohnorte.

Für manche der zwanzig AutorInnen sind Wohnungen nur Stationen, mancher ist sie gar Heimat, jedenfalls Lebensmittelpunkt mit vielen Beziehungen. Natürlich wird ein Hohelied auf Häuser gesungen, ob alt, stilvoll, von nahezu wundersamen Gärten umgeben, mit weitem Blick oder mit karger Einrichtung.

Ein treffliche Lektüre mit dem einzigen Nachteil, das sie so schnell zu Ende gegangen ist. Zum eigenen Trost gewissermaßen schreibe ich jetzt gleich darüber. Ein gelungenes Lesebuch hat der Jonas Verlag als kleine Hymne an das Lesen, das Buch, und die Autoren herausgebracht. Wunderbar. Mustread.

Mitgewirkt haben freilich noch andere. Vor allem der Hessische Rundfunk, dessen Fernsehsendungen bald ausschließlich Schmähung verdienen. Hier es ist der Hörfunk, die Abteilung Radio, HR II, beteiligt. Und zwar in der Sendereihe hr2-kultur (auf Sendung vom 1. Juli bis 4. September 2012) , in der einzelne Lesebeiträge dort eben zu hören sind. Diese „literarische Topographie des Literaturlandes Hessen in Nahaufnahmen, geprägt von den unterschiedlichsten schriftstellerischen Temperamenten“ wie es Herausgeberin Ruth Fühner ohne Übertreibung benennt, kann auch deshalb empfohlen werden, weil sie höchst anregend ist.

Die mitunter intimen Einblicke der Schreibenden in ihre Wohnverhältnisse – bis zu denen, die in ihrem Kopf wohnen und sich per Schreiben räumlich stets woanders neu materialisieren – lassen unwillkürlich das eigene vergangene oder gegenwärtige Wohnen als Ort in Umgebung und grundlegenden Bedeutung für Empfindung und Wohlsein auferstehen. Wie zu lesen, stört mich auf meinem Balkon nunmehr beim Schreiben weder der dicht und (zu) lautstark vorbeiströmende Kraftfahrzeugverkehr, noch der Blick auf die Stadtautobahn. Allerdings entschädigt der weite Blick nach Südwesten bis hin zum Dünsberg, wo vor langem Kelten gewohnt haben.

So und jetzt noch die Namen der Autorinnen und Autoren und die bibliografischen Angaben. Und – diese Buchbesprechung war keine Arbeit. Pures Vergnügen nach vorhergehender freudiger Lektüre. Ist aber die Ausnahme. Buchbesprechung ist Arbeit, es kommt aber auf das Buch an.  Hartwig Bambey

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Wilhelm Genazino
Franz Hodjak
Reinhard Kaiser
Olga Martynova
Martin Mosebach
Ingrid Mylo
Dorothea Razumovsky
Gabriele Wohmann
Stefanie Zweig
Oliver Maria Schmitt

Ruth Fühner (Hg) Wo ich wohne
Schriftstellerische Annäherungen an das Literaturland Hessen
108 Seiten mit farbigen Bildteil, Broschur
Jonas Verlag ISBN 978-3-89445-467-8
Ladenpreis 10 Euro.

 

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