Orientierungswoche mit Stadtrallye für Erstsemester ab 8. April

29.03.2024 (pm/red) Vom 8. bis 12. April sind aktive Fachschaften und Teamer der Philipps-Universität als Unterstützer beteiligt neuen Studierenden Orientierung und Ortskenntnisse in der Stadt und Uni Marburg zu vermitteln. Wie Stundenpläne erstellt werden und …

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Die Wurzeln unserer Esskultur – Eine Ausstellung auf Ehrenbreitstein

Die Festung Ehrenbreitstein in Koblenz, links die Seilbahn zum Festungsplateau, rechts unten die Pagerie und der Dikasterialbau des ehemaligen Schlosses Philippsburg. Foto Holger Weinandt (Wikipedia)

Die Festung Ehrenbreitstein in Koblenz, links die Seilbahn zum Festungsplateau, rechts unten die Pagerie und der Dikasterialbau des ehemaligen Schlosses Philippsburg. Foto Holger Weinandt (Wikipedia)

Gastbeitrag von Ursula Wöll 140803 Soll ich nun den Gästen auf meinem Gartenfest vegetarische Kost vorsetzen oder nicht? Die meisten  essen Fleisch gerne und erwarten, dass dieses auch auf dem Grill liegt, ich selbst gehöre zu dieser Spezies. Doch der Trend geht ja zur Vernunft: Weniger Fleisch, weil das gesünder ist und vor allem aus Umweltgründen. Die „Produktion“ von Fleisch erfordert die vielfache Menge an Getreide oder Soja, so dass die gesamte Weltbevölkerung schon deshalb nie so viel Fleisch essen könnte wie wir heute. Ich überlege hin und her: Da war doch kürzlich im ZEIT-Magazin das Rezept eines raffinierten vegetarischen Menus auf Linsenbasis, das sogar Leuten mit zwei linken Händen gelingt. Dafür würde ich regionales Gemüse verwenden und nicht das billige aus dem Supermarkt. Dort kostet ein Netz Zucchini 80 Cent, wurde also für einen Hungerlohn geernet. SPIEGEL-online beschrieb, wie das in Südspanien abläuft, wo man sich illegaler Flüchtlinge bedient. Die werden nicht mal gegen Pestizidsprühungen geschützt und müssen in Kartonhütten leben.

Ich habe es dann doch nicht gewagt, meinen Gästen vegetarische Kost aus ökologischen Zutaten vorzusetzen. Auf dem Grill lag massenhaft Fleisch, und das stammte nicht mal aus biologischer Tierhaltung. Gilt doch die Bewirtung mit viel Fleisch als ein Muss und wird mit Wohlstand und Status identifiziert. Eine Ansicht, die auf das Barock-Zeitalter zurückgeht, als die feudalen Herren in Fleisch schwelgten, während ihre Untertanen nur Haferbrei, Brot und Kartoffeln aßen. Heute hat zwar eine kleine Elite längst umgedacht und kultiviert eine fleischarme Raffinesse, doch der Zeitgeist misst Gastfreundschaft noch immer an der Menge des aufgetischten Fleisches. Ganz wie einst also, als sich die Tafel der Oberen unter den zahlreichen Gängen bog, denen viel Zuckerwerk folgte. Man lebte nicht gesund an den Höfen in Versailles oder Wien.

Stilleben mit Lachsschnitten, Francisco Jose de Goya y Lucientes

Stilleben mit Lachsschnitten, Francisco Jose de Goya y Lucientes

Eine kleine, aber feine Ausstellung über die Esskultur im Barock mit dem Titel „Tafelkunst und Einheitsbrei“ zeigt, wie unterschiedlich der Tisch der Reichen und der Armen gedeckt war. Sie ist bis ins Jahr 2015 auf der Festung Ehrenbreitstein hoch über dem Rhein zu bewundern. Im Barock, als die Kurfürsten von Trier hier residierten, war der Ort selbst Schauplatz herrschaftlicher Völlerei. In Schaukästen sieht man Abbildungen großer Festmähler, wie das Essen im Frankfurter Römer anlässlich einer Kaiserkrönung. Die barocke Sitzordnung richtete sich strikt nach dem gesellschaftlichen Rang, so dass sich Intrigen entspannen, wer nahe am Herrscherpaar sitzen durfte. Erst seit dem Barock tafelt man mit einheitlichem Geschirr. Ausgestellt ist feinstes Porzellan aus der Manufaktur Höchst, das ebenso üppig dekoriert ist wie das der 1710 gegründeten Manufaktur Meissen. Man sieht auch schönes Steinzeug von der Tafel reicher Bürger, die dem Adel in kleinem Stil nacheiferten.

Ein üppiges Mahl bestand aus vielen Gängen, allesamt aus Fleisch. Die Diener servierten manchen Braten als Schaugericht, also wieder bedeckt mit Fell oder Federn, was zwar unhygienisch war, aber etwa bei Fasanen prächtig aussah und die Illusion eines noch lebenden Tieres vermittelte. In einer Zeit, in der Pest, Cholera und Tod im Wochenbett drohten, verdrängte man gerne das Sterben. Die aufwändig  inszenierte Festtafel glich dem überladenen Dekorum der Kirchen und Schlösser, deren heitere Farben blühendes Leben symbolisieren. Viele der Gäste hatten ihre liebe Not mit  der Gabel, die damals gebräuchlich wurde und ein zivilisiertes Essen erforderte. Nach der Folge der Fleischgänge frönte man einer  neuen Luxusmode, dem Kaffee-, Tee- und Schokoladengenuss aus zierlichen Tassen.

Küchenstillleben mit erlegtem Wild und Gemüse,Adriaen van Utrecht 1640.

Küchenstillleben mit erlegtem Wild und Gemüse,Adriaen van Utrecht 1640.

Die diesseitigen Freuden einer üppigen Tafel regten auch die Maler zu neuen Motiven an. Stillleben mit kunstvoll inszeniertem Wild, Gemüse und Obst auf einem Küchentisch kamen in Mode. Auch hier scheute man sich, die Schlachtung zu betonen. Das wagte erst Goya 1808  mit seinen drei „Lachsschnitten“, die ihr rohes Fleisch präsentieren. Man malte Rehe, Hasen und Vögel im Fell oder ungerupft sowie Fische im ganzen, um Assoziationen an den Tod zu vermeiden. Dem widerspricht nicht, dass Hausherr und Gäste auf der Jagd Wild und Vögel zu tausenden abknallten, um sich Macht über Leben und Tod zu suggerieren. Erstaunlich, wie viele Stillleben Früchte zeigen. Meist sind es Zitrusfrüchte, die in der Orangerie des Auftraggebers wuchsen und seinen Status ebenfalls herausstellten. In der Koblenzer Ausstellung sind die Gemälde nicht im Original zu bewundern, so dass man bei einem Festungsrundgang durch das beidseitig offene Museum schlendern kann.

Die Esskultur der Masse der Bevölkerung unterschied sich radikal von derjenigen der schmalen Oberschicht. Man aß mit der Hand oder dem Holzlöffel aus einer einzigen Schüssel, Fleisch gab es höchstens an Feiertagen, die Abwechslung erschöpfte sich im Wechsel von Getreide, Hülsenfrüchten und Kartoffeln. Letztere hatten die Spanier aus Südamerika mitgebracht. Man bewunderte zunächst nur die Blüten der genügsamen Pflanze und verfütterte die Knollen an Schweine. Der Hunger machte sie schließlich zum Grundnahrungsmittel. Dabei soll der Alte Fritz mitgeholfen und den Anbau befohlen haben, denn für seine Kriege benötigte er satte Soldaten. Aber wie das so ist mit Ausstellungen: Im Museum wird kein Schmutz geduldet, so dass die nachempfundenen Stuben der Armen zwar einfach, aber viel zu aufgeräumt und proper erscheinen. So vermitteln sie nur eine leise Ahnung vom Ausmaß des Elends als der Schattenseite des feudalen Luxus.

Die Festung Ehrenbreitstein bietet weitere kleine Museem, ein Café und vieles andere, etwa einen wunderbaren Ausblick auf die Mündung der Mosel in den Rhein am Deutschen Eck und auf die gesamte Stadt Koblenz. In den letzten Jahren wurde aufwändig saniert, so dass die meterdicken Mauern, Tunnel, Gräben und Verliese harmlos wirken und auch Kinder begeistern. Am einfachsten erreicht man die Festung mit dem Auto oder mit 5 Personen billig mit der Bahn. Dann heißt es jedoch noch in den Bus steigen und sich mit der Seilbahn oder dem Schrägaufzug gegen Bares nach oben liften lassen. Weitere Infos unter www.landesmuseum-koblenz.de , Telefon 0261-66750.

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