Orientierungswoche mit Stadtrallye für Erstsemester ab 8. April

29.03.2024 (pm/red) Vom 8. bis 12. April sind aktive Fachschaften und Teamer der Philipps-Universität als Unterstützer beteiligt neuen Studierenden Orientierung und Ortskenntnisse in der Stadt und Uni Marburg zu vermitteln. Wie Stundenpläne erstellt werden und …

Lesen Sie den gesamten Beitrag »
Kultur

Hessische Geschichten

Kassel

Hessen Kassel Heritage

Kunst

Home » Allgemein, Gastbeitrag, Hessen

Ostermarsch Kassel 2016: Warum die Menschen auf die Straße gehen

Ostermarsch KasselMarburg 28.3.2016 (red) Seit Jahrzehnten sind Ostermarschierer unterwegs, um für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren. Eine große Zahl von Hilfe suchenden Menschen auf der Flucht vor Verfolgung und Krieg hat im vergangenen Jahr Europa und Deutschland erreicht. Beim diesjährigen Ostermarsch in Kassel mit 600 Teilnehmern war der Marburger Friedensforscher Johannes M. Becker  als Redner engagiert. Das Marburger. dokumentiert Auszüge aus seiner Ansprache am Ostermontag:

…In den vergangenen Monaten sind derart viele Menschen aus wirtschaftlicher Not und durch Kriege aus ihrer Heimat vertrieben worden, die UNO spricht von 61 Millionen, dass wir Rechenschaft abgeben müssen über unsere Verantwortung.

Deutschland hat im Laufe der jüngeren und jüngsten Geschichte viele Erfahrungen gesammelt mit der Aufnahme von MigrantInnen.
Am Ende der Hugenotteneinwanderung, Ende des 17. Jahrhunderts, war beispielsweise jede/r vierte Potsdamer/in ein/e Franzose/ösin! Und Kassel war nach Potsdam und Berlin der deutsche Schwerpunkt der Ansiedlung der verfolgten HugenotInnen auf deutschem Boden.
Zwischen 1944 und 1947 kamen 14 Millionen Menschen aus Osteuropa – bis 1957 waren alle – trotz anfänglicher großer Abwehr! – integriert.
Aus der DDR flohen oder siedelten über 1949 bis 1989 ca. 4 Millionen Menschen, nach 1989 weitere 3 Millionen.
Eine zweistellige Millionenzahl von sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern kamen ab den 60er Jahren in die BRD, unter ihnen übrigens viele Muslime.
Als (Spät-)AussiedlerInnen aus vor allem der Sowjetunion und aus Russland kamen von 1950 bis heute etwa 4,5 Millionen Menschen nach Deutschland.

Der Westen hat die Kriege maßgeblich vorangetrieben

In dem aktuellen Zusammenhang von Millionen Flüchtlingen ist über die maßgeblich vom Westen vorangetriebenen Kriege zu sprechen, die Millionen Menschen in Flucht und Vertreibung aus ihrer Heimat gebracht haben.

Ich beginn mit dem sogenannten „Kosovo“-Krieg von 1999, der in Wirklichkeit ein Krieg gegen Jugoslawien war, wo die letzten Reste des „dritten Weges“, des Weges der Autogestion, der Selbstverwaltung zerstört werden sollten und zerstört wurden. Am Ende der endgültigen Zerlegung Jugoslawiens hat der Westen den Menschen im Kosovo das Blaue vom Himmel versprochen; „blühende Landschaften“ und Investitionsströme. Was ist geblieben? Bitterste Armut, eine Korruption, die ihresgleichen sucht, eine Jugendarbeitslosigkeit ohne Beispiel, ein weiterer „failed state“, ein gescheiterter Staat.
Dieser Krieg, damals neben den USA maßgeblich von der Regierung Schröder und Fischer vorangetrieben, hat Zigtausende ins Elend getrieben.

Dann begann der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan. „Uneingeschränkte Solidarität“ versprach wieder Bundeskanzler Schröder der US-Regierung unter Bush jr. Das Resultat: Afghanistan ist nun seit fast 40 Jahren im Krieg, die USA begannen hier mit dem Aufbau von Islamistischen Kräften (Usama Bin Ladin/Al Quaida) gegen damals die Rote Armee. Ab 2001 suchten maßgeblich die USA einen landgestützten Flugzeugträger in der Öl-Region.
Heute ist das Land atomisiert. Alle Strukturen, auch die alten autochton-demokratischen, sind pulverisiert. Wir schützen nicht einmal die Kollaborateure von 14 Jahren deutschen Krieges. Millionen sind auf der Flucht.

Dann ging es wieder gegen einen Diktator: Saddam Hussein im Irak hortete angeblich massenhaft A-, B- und C-Waffen. Der Westen bombardierte das Land ein halbes Jahrhundert zurück, brachte Schiiten und Sunniten gegeneinander auf, islamisierte das Land.  Es ging in Wahrheit um drei Dinge: Um Öl, Öl und Öl!

Der nächste Schritt wurde in Libyen getan – hier zwar ausnahmsweise mit einem Mandat des Sicherheitsrates, aber unter grober Verletzung ebendieses. Die Koalition aus Paris, London und Washington zerlegte ein Land, dessen Diktator sie übrigens (vergleichbar mit Husseins Irak) vier Monate vor dem Beginn des Bombardements im Frühjahr 2011 noch mit Waffen versorgt hatten. Sie zerlegten ein Land, das von allen afrikanischen Ländern vor der westlichen Militärintervention den höchsten Entwicklungsstand erreicht hatte.
Bei diesem Krieg ging es um Öl, Gas und riesige Trinkwasservorräte. Heute sind Millionen auf der Flucht, Tausende sind im Mittelmeer ertrunken.

Von Libyen strahlte die Politik des divide et impera dann auf Mali aus. Zehntausende flüchtende Tuareg destabilisierten das Land, fielen den auch dort ein Aktionsfeld vorfindenden Islamisten in die Hände. Frankreich führte und führt Krieg, um „seine“ Uran-Vorräte im benachbarten Niger zu sichern.

Auch in Syrien ging und geht es „gegen einen Diktator“ – auch der jahrzehntelang mit Waffen aus Ost und West ausgerüstet. In die Demokratiebewegung im Zuge des „Arabischen Frühling“ mischte sich der Westen ein, rüstete die Opposition mit Geld und Waffen aus – dort geht es gegen einen unbequemen Quertreiber und Verbündeten Russlands, und ums Öl! Ein weiteres Land ist nahezu zerlegt.

Einige wenige Aussagen zur Ukraine. Auch dort mischte sich der Westen in einen langandauernden Konflikt ein. Die aktive Unterstützung des Putsches gegen den zweifellos korrupten Präsidenten Janukowitsch hat das Land in einen tiefen Bürgerkrieg gestürzt, hat die Gefahr eines Heißen Krieges der NATO mit Russland enorm erhöht: Man schaue sich die Ost-Grenze der NATO des Jahres 1989 an, und vergleiche diese Grenze mit der des Jahres 2016.
Was hatte der ebenso korrupte neue Präsident Poroschenko auf dem NATO-Gipfel des Jahres 2015 zu suchen?  In diesem Zusammenhang stelle man sich einmal vor, der russische Präsident hieße nicht Putin, sondern Jelzin.
Zehntausende haben ihr Leben in der Ukraine gelassen, das Land ist atomisiert, pulverisiert, ruiniert. Millionen sind auf der Flucht. Ein failed state vor den Toren der Europäischen Union, mit unabsehbaren Folgen für das sensible Gefüge zwischen der EU und Russland…

Was ist Wirklichkeit geworden, gemacht worden in unserem Land?

    • Deutsche Politik schickt Waffen nach Saudi-Arabien, nach Katar, in die Türkei, nach Israel (und verletzt damit ihre eigenen Grundsätze, von den Wahlversprechen eines Sigmar Gabriel zu schweigen!).
    • Deutsche Politik will die Bundeswehr massiv vergrößern und kündigt eine gewaltige Erhöhung des Rüstungshaushaltes an.
    • Deutsche Politik verstärkt trotz des unübersehbaren und von ihr mit angerichteten Desasters die Bundeswehrpräsenz in Afghanistan.
    • Deutsche Politik engagiert sich in das Bomben in Syrien, was fatal an den Beginn des Afghanistan-Debakels erinnert.
    • Unsere Politische Klasse verbündet sich mit dem Kurdenschlächter und IS-Unterstützer Erdogan, um das Fluchtproblem exterritorial, mit Milliarden Euro geschmiert, „lösen“ zu lassen.

Was ist stattdessen zu fordern und zu tun?

Jeglicher Rüstungsexport ist sofort zu stoppen. West und Ost haben alle die bekämpften Diktaturen jahrzehntelang mit Waffen beliefert! 100.000 Menschen (von 43 Millionen Beschäftigten) arbeiten in unserem Land in der Rüstungsindustrie – hochqualifiziert unter unsinnigem Verbrauch an Rohstoffen und geistiger Produktivkraft.

Das deutsche und das europäische Asylrecht muss aufrechterhalten werden.
Die Europäische Solidarität muss eingeklagt werden – nicht beim sogenannten „Krieg gegen den Terror“, sondern in der Aufnahme und Behandlung der MigrantInnen und Flüchtenden.

Deutschland muss sich offensiv zum Einwanderungsland bekennen: Regeln aufstellen hierfür, die öffentlich und klar sind.
Der innerdeutschen Neiddebatte (PEGIDA, AfD, CSU) ist durch eine breitangelegte Bildungs- und Ausbildungsinitiative zu entgegnen.

Interventionskriege sind zu stoppen, Friedensverhandlungen müssen eingegangen werden.
Die NATO-(und EU-)Ausdehnung ist zu stoppen.

Die Versorgung des IS, von Boko Haram mit Waffen ist sofort zu stoppen, dessen Ölverkäufe, Finanzbewegungen sind zu unterbinden, Unterstützerstaaten müssen sanktioniert werden.
Verhandlungen müssen mit allen Konfliktparteien geführt werden, bspw. in Syrien mit der Regierung Assad, mit dem IS etc. Die UNO muss gestärkt und nicht weiter geschwächt werden, die Finanzierung der Nahrungsmittel- der Flüchtlingshilfe muss gesichert werden,

Wenn schon deutsche Solidarität für Bündnispartner: dann durch die Lieferung von Lazaretten (und nicht von AWACS), von Trinkwasseranlagen u.v.m.
Unser Land kann sich hervortun beim Bau und bei der Rekonstruierung von Schulen, Universitäten, Ausbildungsstätten.

Die Diplomatie muss gestärkt werden – Das hohe Ansehen Deutschlands in weiten Teilen der MENA-Region nach der Nicht-Teilnahme an den Kriegen gegen Irak und Libyen muss dringend Diplomatisch genutzt werden.

Hochqualifizierten ArbeiterInnen der Rüstungsexportindustrie sind zum Minenräumen auszubilden/einzusetzen, zum Bau von Bewässerungsanlagen, zur Produktion von Prothesen, zum Bau von Schulen – Ingenieure werden überall gebraucht.

Die Steuerflucht auch aus den Euroland ist zu stoppen.
Die Terms of trade sind dringend zu verändern – die Subventionspolitik des reichen Nordens und Westens erstickt viele Volkswirtschaften der Entwicklungsländer.

Die Globalisierung muss als gemeinsamer Prozess begriffen werden – Ausbeutungsverhältnisse müssen in Partnerschaft umgewandelt werden – die „Strukturelle Gewalt“ (Johan Galtung) muss abgebaut werden.
In der Entwicklungspolitik müssen die Zielländer der Entwicklungs-Hilfe ihre Eigenkapazitäten stärken können. Ihre Ernährungsbasis, Industrialisierung, Entwicklung des Handwerks etc. Derzeit gehen 80 Prozent der Entwicklungshilfe in Unternehmen der Geberländer. Die Entwicklungsländer selbst müssen sich zu wirkungsvollen Bünden zusammentun, um geschützt produzieren und handeln zu können.
Korruption und Vetternwirtschaft muss wirkungsvoll bekämpft werden und Politik muss mittel- und langfristige Folgen ihres Agierens bedenken.

Hat Krieg, hat militärische Gewalt jemals in der Geschichte ein politisches, geschweige denn soziales Problem gelöst? Helmut Schmidt sagte im weisen Alter eines Über-90jährigen: „Lieber 100mal vergeblich verhandeln als einmal zu schießen!

Hier in Kassel möchte ich die Gebrüder Grimm zitieren, die an den Herrschenden schon 1822 kein gutes Haar ließen: Den Staaten unserer Zeit ist überhaupt mit mittelmäßigen Leuten am besten gedient, die sich in alles fügen. Streben nach eigentümlicher, unabhängiger Gelehrsamkeit wird nicht nur nicht begünstigt, sondern gefürchtet.“ Jacob Grimm 1822

Lasst uns in den Gewerkschaften, auch hier in Kassel, wie in den 80er und 90er Jahren, wieder intensiv arbeiten an Überlegungen zur Rüstungskonversion für eine Welt ohne Kriege und ohne Kriegsflüchtlinge.

Contact Us