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Zeit des Wandels – Die Alten haben es vermasselt, die Jungen dürfen ran

Zwei Schülerinnen mit Ranzen auf dem Heimweg. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Marburg 24.03.2019 | Gastbeitrag von Ruben Schattevoy So, wie die Dinge in den letzten Jahrhunderten gelaufen sind, haben Kinder immer nur gelernt, wie man die Fehler der Erwachsenen wiederholt. Lernen war ein betreutes Lernen, ein Austreiben vom Kind sein, statt dessen eine Indoktrination für Systemkonformität, also eines Funktionierens im Sinne von Macht und Herrschaft. Ruben Schattevoy meint, dass es Zeit ist, mit dieser verhängnisvollen Tradition zu brechen. Und er ist bereit, seine Gedanken mit den Kindern selbst zu diskutieren, anstatt nur über sie zu bestimmen (a1). Die Schulstreiks werden aktuell gehypt — in den Systemmedien ebenso wie in den Freien Medien. In den letzten Tagen habe ich viele Artikel und Kommentare gelesen und in den Foren teilweise auch mitdiskutiert. Gerade in den Freien Medien herrschen überwiegend wohlmeinende Artikel vor, die Kommentare sind kritisch.
Die Schulstreiks und der mediale Umgang mit diesen legen den Blick auf ein tieferliegendes Thema frei — den politischen Generationenvertrag.

Mal wird den jungen Menschen vorgeworfen, sie gefährdeten den Fortschritt, das Wachstum, die Wirtschaft oder die Arbeitsplätze, mal wird betont, dass wir Schulpflicht hätten und in einer Demokratie lebten, mal werden Faulheit oder politische Unerfahrenheit unterstellt, mal werden die Schulstreiks als Trittbrett für persönliche Steckenpferde missbraucht und mal werden die eigene Lethargie, das eigene Scheitern, die eigenen Ängste, die eigenen Feindbilder und auch die eigenen Verschwörungstheorien auf die jungen Menschen projiziert.

Allen diesen Einordnungen ist eines gemein — sie entspringen der Perspektive der „Elterngeneration“ und wirken gegenüber der eigenen „Kindergeneration“ beängstigend empathiefrei.

Die heutige „Großelterngeneration“ ist die letzte Generation, die für sich reklamieren kann, dass es zu ihrer aktiven Zeit noch objektiv Bedarf an Fortschritt und Wachstum gab und dass sich die Grenzen des Wachstums damals auch noch nicht konkret am Horizont abgezeichnet haben.

Die heutige „Kindergeneration“ wird, wenn die Dinge einfach ihren Lauf nehmen, die erste Generation sein, deren Lebensspanne unterhalb der natürlichen Lebenserwartung liegt, weil die Grenzen des Wachstums überschritten werden. Wenn die heutige „Kindergeneration“ selbst noch Kinder bekommt, läuft sie Gefahr gleichzeitig mit ihren Kindern von diesem Planeten abzutreten.

Die heutige „Elterngeneration“ befindet sich so gesehen in einer historisch einmaligen Situation, die so noch nie da war und so auch nie wieder sein wird. Sie steht am Umkehrpunkt dieser über viele Generationen fortschreitenden Entwicklung.

Die Lebenserwartung unserer Generation wird durch die Grenzen des Wachstums vermutlich nicht eingeschränkt werden. Objektiv und global betrachtet gibt es heute keinen Bedarf mehr an Fortschritt und Wachstum (wohl aber an einer vertikalen und horizontalen Umverteilung). Als Generation zocken wir (wir wetten auf den immer währenden technologischen Fortschritt) und feiern eine Dauerparty auf Kosten anderer — dem Rest der Menschheit im globalen Süden, aber eben auch der eigenen „Kindergeneration“. Die Ideologien der Vergangenheit sind mit unserer Generation zu hohlen Dogmen verkommen, die nicht mehr an unsere Ideale andocken.

Welchen Sinn soll das Leben haben, wenn wir in absehbarer Zeit keine lebenden Nachkommen mehr haben? Mitglieder der „Großeltern- und Elterngeneration“, die sich diesen Erkenntnissen nicht verschließen, müssen doch zu dem Schluss kommen, dass alles nichts ist, wenn es nicht der Zukunft der „Kinder- und Enkelgeneration“ dient. Alles politische Handeln der „Elterngeneration“ muss sich doch daran orientieren, dass die Menschheit dauerhaft unterhalb der Grenzen des Wachstums bleibt.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis hat die „Kindergeneration“ alles Recht der Welt, das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen — mithin unserer Generation das Heft des Handelns aus den Händen zu reißen. Unsere Generation hat wahrlich mehr als genug bewiesen, dass sie unfähig ist, die Zukunft der Menschheit zu sichern.

Aus der Perspektive der „Kindergeneration“ sind sämtliche weiter oben beschriebenen Einordnungen der „Elterngeneration“ wahre Zumutungen. Ausgerechnet die eigene „Elterngeneration“ instrumentalisiert die Schulstreiks für ihre Zwecke. Welch bittere Erkenntnis!

Wenn wir „Elterngeneration“ wollen, dass das Leben weitergeht, müssen wir dafür sorgen, dass die „Kindergeneration“ so schnell wie möglich auf den Fahrersitz kommt und ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sie sich selbst geradewegs in den Untergang steuert. Die „Kindergeneration“ muss so bald wie möglich Selbstwirksamkeit beim Lenken verspüren, dann erst setzt der politische Lernprozess ein. Dabei geht es explizit nicht um ein von der „Elterngeneration“ angeleitetes oder betreutes Lernen. Die „Kindergeneration“ wird und muss ihre eigenen Fehler machen, fallen, sich wieder aufrappeln und dabei lernen — anders hat Lernen noch nie funktioniert. Umso früher die „Kindergeneration“ zum Treiber der Geschehnisse wird, umso besser sind die Aussichten, dass die Menschheit gerade nochmal davonkommt.

Wenn wir „Elterngeneration“ den Generationenwechsel nach Kräften unterstützen, statt ihm im Weg zu stehen, schaffen wir es vielleicht gerade noch, dass die Generationen verbunden bleiben und nicht noch eine neue Front „Jung gegen Alt“ entsteht — die sich bildende Frontlinie ist leider schon nicht mehr zu übersehen. Wenn es uns gelingt, verbunden zu bleiben, können wir der „Kindergeneration“ sicher noch mit viel Rat und Tat zu Seite stehen — aber nur, wenn wir dazu eingeladen werden.

Wenn wir uns dem verweigern und uns noch länger am Steuer festkrallen, verzögern wir das Lernen der „Kindergeneration“, erzwingen einen Energieverlust bei der „Kindergeneration“, weil sie uns zuerst noch beiseite räumen muss und verunmöglichen, dass die „Kindergeneration“ unsere Erfahrungen überhaupt abruft und dadurch hoffentlich manchen Fallstrick vermeiden kann.

Ich baue darauf, dass die „Kindergeneration“ von alleine darauf kommen wird, dass die Zukunft noch von vielen anderen Risiken bedroht ist, die in den Freien Medien immer wieder besprochen werden. Wenn sie diese Risiken erkannt hat, wird sie sicher froh sein, auch dort auf unsere Erfahrungen zurückgreifen zu können — aufdrängen sollten wir ihr unsere Erkenntnisse aber nicht.

Quellen und Anmerkungen:

(a1) Die Diskussion – auch mit Ruben Schattevoy – kann gern im Kommentarbereich von Peds Ansichten geführt werden.

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Ruben Schattevoy, Jahrgang 1961, geboren und aufgewachsen in Bonn, lebt seit 1999 in München, ist promovierter Physiker und arbeitete als Teilchenphysiker, Softwareentwickler, Bioinformatiker und Rechenzentrumsleiter. Seit einigen Jahren ist er als Organisationsberater, Projektmanager und Prozessberater im Bereich IT-Servicemanagement und als Change-Manager für die „Digitale Transformation“ großer Verwaltungen tätig.

Der Artikel wurd aus Rubikon Magazin für die kritische Masse von der Redaktion das Marburger. übernommen.

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