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Georg-Büchner-Preis 2020: Preisträgerin Elke Erb

Kassel 17.010.2020 | von Ursula Wöll | „Das Gedicht ist, was es tut„, so Elke Erb und so auch der Titel einer ihrer Lyrikbände im Wallstein-Verlag. Mein Deutschlehrer hätte mir diesen Satz nicht durchgehen lassen. Lyrik, vor allem die Erb’sche hat ihre eigenen Regeln. Daher zunächst zu etwas Realem, das ebenfalls tut: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit Sitz in Darmstadt tut jährlich den Georg-Büchner-Preis für herausragende Literatur des deutschsprachigen Raums verleihen. 2020 entschied sie sich für Elke Erb, die ihn am 31. Oktober überreicht bekommt.

WHO  IS  WHO ?

Der Büchner-Preis ist der renommierteste Literaturpreis, der in unserer an Preisen nicht armen literarischen Landschaft vergeben wird. Namensgeber ist der 1837 jung verstorbene Georg Büchner, der neben dem ‚Hessischen Landboten‘ auch Theaterstücke wie Woyzeck oder Leonce und Lena geschrieben hat, außerdem den Prosatext „Lenz“, mein persönliches Lieblingsstück. Letzteres bezieht sich auf den realen Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz.

Georg Büchner schickt den verwirrten Lenz im grandiosen Anfang des Stücks auf einen Gang durchs Gebirg „allein, ganz allein, er war sich selbst ein Traum“. Dabei fühlt dieser Lenz, „dass es ihm unangenehm war, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte.“ So einen Satz vergisst man nicht. Zurück zum Büchner-Preis: Er ist nicht nur der renommierteste Literaturpreis, sondern auch der höchst dotierte. Er wird Elke Erb 50.000 Euro bringen. Davon können Internet-Zeitungen nur träumen.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung existiert seit 71 Jahren. Aus dem Internet weiß ich, dass ihr um die 190 ‚Spracharbeiter‘, also LiteratInnen jeder Couleur angehören und dass ihr Präsidium auch die Jury für die Vergabe des Büchner-Preises bildet, erweitert durch je eine/n VertreterIn des Bundes, des Landes Hessen und des Darmstädter Magistrats. Nicht nur der Preis sondern die gesamte Akademie finanziert sich überwiegend aus öffentlichen Mitteln. Ist die Darmstädter Institution doch Hüterin der deutschen Sprachkultur.

Die Preisträgerin Elke Erb ist älter als diese Institution, nämlich 1938 geboren und offenbar auch körperlich noch rege. Sie kommt nämlich zur Preisverleihung am 31. Oktober aus ihrem Wohnort Berlin nach Darmstadt ins Staatstheater. Ihre am Vorabend geplante Lesung aus ihren Werken wurde inzwischen von der Akademie wegen Corona gestrichen.

In der Eifel geboren, ging Elke Erb als Kind mit den Eltern in die DDR, in der sie nach dem Studium zunächst als Verlagslektorin arbeitete und sich ab 1966 einen Namen als freie Lyrikerin, Prosaistin und Übersetzerin machte. Es fällt mir schwer, ihr Werk angemessen vorzustellen, so wie offenbar auch vielen meiner Kollegen von FAZ, SZ oder Spiegel. Sie alle schreiben ausführlich über die Person Erb und eher weniger über ihre Gedichte. Letzteres ist mühsam zu leisten, weil sich die Dichterin vor allem an der Sprache selbst abarbeitet, sie mitreflektiert. Wie einfach waren da doch die Zeiten, als ein gelungenes Gedicht sich schlicht reimen oder inhaltlich klare Aussagen machen musste wie bei Brecht.

IST DIE LYRIK VON ELKE ERB SCHWIERIG?

Die Akademie begründete ihre Preis-Entscheidung für das Lebenswerk von Elke Erb so: „Ihre Gedanken zeichnen sich durch eine prozessuale und erforschende Schreibweise aus, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung ist.“ Und: „Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert.“ Auch hier hätte mein Deutschlehrer eventuell gestutzt. Ich verstehe das so: Für Elke Erb ist die Sprache selbst das Subversive.

Offensichtlich hat die Preisträgerin eine Reihe von jüngeren LyrikerInnen damit sehr beeindruckt, schon in der DDR. Mit Sarah Kirsch oder Volker Braun machte sie den Prenzlauer Berg in Berlin zu einem von der Staatsmacht misstrauisch beäugten literarischen Gebiet. Ihre Opposition drückte sich vor allem in einer Sprache aus, die den Funktionären fremd war. Aber auch die BRD, in der sie nach 1989 weiterhin produktiv war und ist, kritisiert sie als geldorientiert und oberflächlich.

Ein Gedanke streift mein Gehirn: In diesem Jahr feiern wir 30jährige ‚Wiedervereinigung‘, da kam es der Deutschen Akademie vielleicht gelegen, dass eine Preisträgerin zur Hand war, die in beiden Teilen Deutschlands Spuren hinterlassen hat. Fazit: Leicht macht uns die Dichterin die Lektüre ihrer Werke nicht. Weiten Kreisen war sie daher bisher unbekannt, auch mir. Denn sie verachtet starre Formen, befragt und kommentiert ihr Dichten selbst. In der taz wurde ihr Werk so charakterisiert: „beharrlich gegen das Beharren“. Das hat mir gefallen. Ob sich wenigstens einige LeserInnen mit mir der Anstrengung unterziehen, das Werk von Elke Erb zu erkunden?

Die Preisübergabe durch Akademiepräsident Ernst Osterkamp am 31.10. um 16 Uhr ist wegen Corona nur im Livestream zu verfolgen, siehe www.deutscheakademie.de

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