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Kreistag Marburg-Biedenkopf: Mit Kriegspropaganda für den Frieden?

04.04.2022 (pm/red) Als Aprilscherz lässt sich nicht abtun, was in der Kreistagssitzung am 1. April 2022 geschehen ist und an widersprüchlichem Verhalten der Mehrheitsparteien ungeschminkt zu Tage trat, etwa in der Leugnung des Jugoslawienkrieges mit der Kriegspartei Deutschland vor 23 Jahren durch den Kreistagsvorsitzenden Detlev Ruffert.

In der Kreistagssitzung am 01.04.2022 stand erneut ein Resolutions-Antrag mit Bezug zum Krieg in der Ukraine auf der Tagesordnung. Die Fraktion DIE LINKE hatte beantragt, der Landkreis möge der Organisation „Mayors for Peace“ beitreten, sich für die Abschaffung aller Atomwaffen sowie gegen weitere Aufrüstung aussprechen. Etwas willkürlich und ohne unmittelbaren Zusammenhang als Punkt vier angefügt habe dabei die Forderung nach klimapolitischen Zielen gewirkt, teilt Dr. Frank Michler Bericht erstattend aus der Sitzung mit.

Arroganz der Macht: SPD und CDU tricksen

SPD und CDU wollten den Beitritt zu „Mayors for Peace“ offenkundig nicht. Statt aber gegen den Antrag von DIE LINKE zu stimmen – wer will schon gegen den Frieden stimmen? – bedienten sie sich eines Tricks:  sie stellten einen ‚Änderungsantrag‘, der den ursprünglichen Antrag  ersetzen sollte. Der SPD/CDU-Antrag sprach sich allgemein gegen Atomwaffen und Krieg aus. Es war mit eine Umformulierung von Punkt 3 und eine Streichung aller übrigen Punkte des Antrages von DIE LINKE.

Änderungsantrag von Dr. Michler: Waffenlieferungen stoppen

Dr. Frank Michler (Bürgerliste Weiterdenken) hatte in seinem Änderungsantrag vorgeschlagen, der Kreistag möge alle Kriegsparteien zu einem Waffenstillstand und Russland zu einem Truppenabzug auffordern. Weiterhin solle Deutschland die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen und unter Wahrung militärischer Neutralität, die bei Waffenlieferungen nicht gegeben ist, sich in Friedensverhandlungen als Vermittler für einen Interessensausgleich einsetzen. In seiner Antragsbegründung zitierte Dr. Michler aus dem offenen Brief der „Vereinigung für Friedensrecht“ – IALANA Deutschland e.V. an Bundeskanzler Scholz.

Sitzungsunterbrechung: Ältestenrat ohne Einzelabgeordnete

Michael Meinel (Fraktionsvorsitzender der Grünen) hatte daraufhin einen Geschäftsordnungsantrag gestellt, den SPD/CDU-Änderungsantrag nicht zuzulassen, weil er zumindest in Bezug auf die Punkte 1, 2 und 4 nichts mehr mit dem Original-Antrag zu tun hatte. Kreistagsvorsitzender Detlef Ruffert blieb jedoch bei seiner Sicht, dass der Änderungsantrag  zulässig sei. Dies änderte sich nicht nach einer Sitzungsunterbrechung und Beratung durch den Ältestenrat. Der Ältestenrat ist ein Gremium des Kreistages, welches den Kreistagsvorsitzenden in Bezug auf Fragen der Sitzungsleitung beraten soll. Ihm gehören laut aktueller Geschäftsordnung das Kreistagspräsidium sowie alle Fraktionsvorsitzende an. Einzelabgeordnete, die keiner Fraktion angehören, sind darin bisher nicht vertreten.

Wie sich auch schon in anderen Situationen gezeigt hat, ist es problematisch, dass die Absprachen über das weitere Verfahren z.B. beim Umgang mit Anträgen unter Ausschluss der Einzelabgeordneten stattfinden.  Dies wiegt um so schwerer, wenn – wie in diesem Fall – auch Anträge von Einzelabgeordneten betroffen sind. Dr. Michler hatte dieses Problem bereits mit einem Dringlichkeitsantrag thematisiert, der in der kommenden Sitzung als regulärer Antrag beraten wird.

Jugoslawienkriegs-Leugnung

In der Debatte ging Dr. Michler auf die Geschichtsvergessenheit einiger Kreistagsmitglieder ein. In der vorhergehenden Sitzung hatte der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert behauptet, Putin zerstöre mit seinem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine „die seit 75 Jahren bestehende europäische Friedensordnung“.
Dass Deutschland vor 23 Jahren mit der völkerrechtswidrigen Bombardierung von Jugoslawien (siehe Schröder vs. Josef Joffe 09.03.2014 und WDR-Doku vom 16.11.2010, „Es begann mit einer Lüge“) die europäische Friedensordnung längs zerstört hatte, ist dem Gedächtnis von Detlev Ruffert offenbar entschwunden oder anscheinend einfach gestrichen.

Auch die Antragsbegründung von SPD und CDU enthielt diese Jugoslawienkriegs-Leugnung:
„Kaum jemand hat es für möglich gehalten, dass Europa nach all den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege noch einmal einen Angriffskrieg erleben und die europäische Sicherheit bedroht würde“ findet sich darin tatsachenwidrig fomuliert.

Pirat rechtfertigt Waffenlieferungen

Frank Lerche (Liberale und Piraten) stufte Waffenlieferungen zwar generell als „Problem“ ein. Dann rechtfertigte er jedoch die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Wenn es darum ginge, „einen Aggressor, der sich skrupellos mit brutalster Gewalt in das Land reingepresst hat,
zurückzuschlagen“, so Lerche, solle man das anders bewerten. Man müsse das Recht haben, „sich gegen eine Aggression zu verteidigen“. Eine merkwürdige Rechtfertigung hatte sich mithin der Pirat zurechtgelegt, wenn man bedenkt, dass es in Kriegsgebieten nun einmal immer Aggressionen gibt, gegen die sich jemand verteidigt.

Es macht einen enormen Unterschied, ob das eigene Land (oder eines, mit dem man ein Verteidigungsbündnis abgeschlossen hat) angegriffen wird, oder ob man sich in einen Konflikt außerhalb Deutschlands und des NATO-Gebiets einmischt und durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei wird. Lerche meinte jedoch, „nur das“ könne „diesen Krieg schnell beenden, wenn er nicht damit enden sollte, dass die Ukraine aufhört, als Staat zu existieren.“

Schenk (FDP): „Waffen, Waffen, Waffen“ für die Ukraine

Für die FDP sprach Helmut Schenk zu Schweinsberg. Er kündigte an, die FDP wolle dem SPD/CDU-Antrag gegen Atomwaffen und zur Verurteilung aller kriegerischen Auseinandersetzungen zustimmen. In seiner Rede führte er dann an: „Die Ukraine braucht drei Dinge: Waffen, Waffen, Waffen. Und bei der Ukrainischen Zentralbank gibt es ein Konto der ukrainischen Armee, dort kann man Spenden für die Ukrainische Armee hinschicken.“
Dr. Michler zeigte sich irritiert über die groteske Widersprüchlichkeit: „Wozu bitte sollen die „Waffen, Waffen, Waffen“ eingesetzt werden – wenn nicht zu den im Beschluss verurteilten kriegerischen Auseinandersetzungen?brachte es der Kreistagsabgeordnete als Frage auf den Punkt.

Abstimmung: Kreistagsmehrheit für Waffenlieferung

Für den Änderungsantrag von Dr. Michler zur Forderung nach Waffenstillstand, Truppenrückzug, Stopp von Waffenlieferungen und Diplomatie gab es nur eine Ja-Stimme, die von ihm selbst, dazu eine Enthaltung von einer Abgeordneten von DIE LINKE. Alle anderen anwesenden Kreistagsmitglieder stimmten dagegen. Bei FDP und Piraten ist die Ablehnung aufgrund ihrer Redebeiträge verständlich. Warum jedoch DIE LINKE, Grüne, Klimaliste, CDU, SPD und AfD sich nicht gegen Waffenlieferungen aussprechen wollten, muss unklar bleiben.

Der „Änderungsantrag“ von SPD und CDU wurde dann mit deren Mehrheit angenommen, so dass der ursprüngliche Antrag von DIE LINKE damit obsolet war und nicht mehr zur Abstimmung kam.

Quellen
—> Tagesordnung der Kreistagssitzung vom 01.04.2022

—> Änderungsantrag von Dr. Frank Michler zu TOP 18 (Mayors for Peace)

—> Offener Brief von IALANA an Bundeskanzler Scholz, Anlage zum Änderungsantrag von Dr. Frank Michler

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