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Zum Gedenken für die am 25. März 1920 von Marburger Korporierten in Mechterstädt ermordeten 15 Arbeiter

Bettina Heiland und Michael Heiny (beide Geschichtswerkstatt ), Henning Köster (Stadtrat ),  Gerald Slotosch (Bürgermeister für  Ruhla, Thal, Kittelsthal). Foto Michael Klostermann

Am 25. März hat Stadtrat Henning Köster im Auftrag des Magistrats zusammen mit Bettina Heiland und Michael Heiny von der Geschichtswerkstatt auf Einladung des Ruhlaer Bürgermeisters Dr. Slotosch auf dem Friedhof in Thal an der Gedenkstätte für die am 25. März 1920 von Marburger Korporierten des sog. Stukoma, einer  Zeitfreiwilligeneinheit der Reichswehr in Mechterstädt, ermordeten 15 Arbeiter einen Kranz niedergelegt und ein Grußwort gesprochen.

12.04.2024 | Im Wortlaut Ansprache von Henning Köster

Sehr verehrte, liebe Anwesende,
wir haben uns heute hier versammelt, weil auf diesem Friedhof der Arbeiter Ernst, Karl und Heinrich Füldner, Albert und Karl Schröder, Otto und Gustav Soldau, Reinhold Steinbeg, Alfred Rößinger, Alexander Hartmann, Otto Patz, Gustav Wedel, Rudolf Rosenstock, Paul Döll und Karl Hornschuh aus Thal gedacht wird, die am 25.  März 1920 von vierzehn korporierten Studenten einer Marburger Zeitfreiwilligeneinheit der Reichswehr, dem StuKoMa feige ermordet wurden.

Also von reaktionär-konservativen bzw. konservativ-konterrevolutionären Kräften aus der Stadt, die ich heute hier wieder vertreten darf. Einer Stadt, in der dann auch die Freisprüche ergingen und deren Universität sich viele Jahre schwer tat, die Mitschuld und Komplizenschaft ihrer damaligen Leitungen einzugestehen.

Über die Vorgeschichte, die Hintergründe, den Ablauf und die viele Jahre fehlende juristische und zeitgeschichtliche Aufarbeitung dieses Massakers muss man hier in diesem Kreis niemanden aufklären.

Ein Massaker, das hundert Jahre zurückliegt

Und warum eigentlich eines Massakers gedenken, das über 100 Jahre zurückliegt? Es ist bedrückend feststellen zu müssen, dass das nicht nur nicht überflüssig geworden ist, sondern sogar immer notwendiger wird.

In Zeiten, in denen im Umfeld einer Partei, der AFD, die sich anschickt in einigen Bundesländern stärkste Partei zu werden, die in Hessen mit 18,4% Nr. 2 wurde, wieder Deportationen ethnisch und politisch missliebiger Bevölkerungsgruppen erörtert werden, ist es lebenswichtig, in Erinnerung zu rufen, was Deportationen waren in der deutschen Geschichte. Dass nur wenige Jahre nach diesem Massaker hier, Millionen von Juden, Hunderttausende Sinti und Roma – aus Marburg 58 Menschen – deportiert und ermordet wurden. Dass aus den Morden an angeblich aufrührerischen Arbeitern, die ein Dorfpolizist eher zufällig ungeprüft auflisten durfte, die systematische Verfolgung, Drangsalierung, Inhaftierung und Ermordung vieler Tausend kommunistischer und sozialdemokratischer Arbeiter wurde. Zahlreiche, ja strukturelle personelle Kontinuitäten zwischen den Hintermännern und Akteuren der hiesigen Verbrechen und den Tätern dann in der Naziherrschaft lassen sich ohne weiteres ausmachen und sind jedem hier geläufig.

Rechtsentwicklung nicht unwidersprochen lassen

Aber – es gibt keinen Fatalismus einer unaufhaltsamen Rechtsentwicklung. Damals nicht und heute nicht. Es gilt zu widerstehen, sich entgegenzustellen. Keine rassistische Nebenbemerkung oder Witz, keine antisemitische, antzigane oder muslimfeindliche Äußerung im Bus, auf der Arbeit, im Verein, in der Schule darf unwidersprochen bleiben. Es muss dabei bleiben, dass keine Zusammenarbeit mit diesen Kräften, egal auf welcher Ebene stattfindet. Und man gräbt, völkischen, rassistischen, flüchtlingsfeindlichen Kräften nicht das Wasser ab, indem man fatalistisch ihre drohende Machtergreifung beschwört und ihre Thesen partiell nachbetet in der Erwartung, ihnen damit das Wasser abzugraben. Das ist ein gefährlicher Trugschluss und schiebt nur den gesamtgesellschaftlichen Diskurs nach rechts.

Ich habe mir klar gemacht, dass Eltern und Geschwister dieser jungen Männer noch lebten und sie schmerzlich vermissten, als ich zur Schule, zur Uni und ins Berufsleben eintrat, zwei Autostunden entfernt im Westen, in der Bundesrepublik, ohne dass ich damals auch nur das geringste Wissen über ihr Schicksal hatte.

Geschichtsunterricht endete mit der Weimarer Republik

Wenn ich in mein damaliges Schulbuch für das Fach Geschichte aus dem katholischen Schöningh Verlag Paderborn auf dem Gymnasium in Olpe, das ich von 1960 bis 1968 besuchte, schaue – und als späterer Lehrer bewahre ich sowas bis heute auf – so finde ich sogar überhaupt keinen Hinweis auf die damaligen konterrevolutionären Umtriebe, auf die Massaker. Kein einziges mal findet sich auch nur der Begriff Arbeiterbewegung. Ja, unser Geschichtsunterricht endete mit der Weimarer Republik – keine Schulstunde zur Nazizeit, zum 2. Weltkrieg, zum Widerstand und zur Shoa. Und dazu regte sich keinerlei Widerspruch von der Schulleitung oder der Elternschaft. Auch ein Besuch in einem KZ war damals überhaupt kein Thema.

Drängen der Geschichtswerkstatt Marburg

Erfreulicherweise hat sich diese Verleugnung nun doch, gerade auch in Marburg, grundlegend geändert. Nach jahrelangem Drängen der Geschichtswerkstatt Marburg hat die Stadt Marburg erhebliche Anstrengungen unternommen, die braune Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Umbenennungen von Straßen einschlägig belasteter Personen wie Demnitz, Walter Voss und Karl Theodor Bleek, eine alljährliche Gedenkveranstaltung für die verschleppten und ermordeten Sinti und Roma, wie gerade am Samstag wieder, das alljährliche Gedenken der Deportatation am Gleis 5, die jährliche Veranstaltung zum 9. November, die individuelle Zwangsarbeitentschädigung, eine Studie zur Geschichte der STVV in und nach der Nazizeit – dies alles sind wichtige Bausteine der Aufarbeitung im letzten Vierteljahrhundert. Und rechtsextreme Umtriebe von schlagenden Verbindungen sind immer wieder Gegenstand von Demonstrationen aus der Stadtgesellschaft.

Und nicht zuletzt ist Marburg immer wieder Schauplatz großer Demonstrationen bei bundesweiten rechtsextremen Gewalttaten. Nach der Wannseediskussionen waren wir 16.000, die sich gegen die Rechtsentwicklung gestellt haben.

Gedenktafel in Marburg

Und es muss uns mit Genugtuung erfüllen, dass wie Sie wissen, seit dem April 2019 auch die Universität sich zu einer Gedenktafel an der Alten Universität in der Marburger Innenstadt bereit fand mit dem Text: „Am 25. März 1920 erschossen Studenten der Universität Marburg als Mitglieder eines militärischen Freikorps im thüringischen Mechterstädt 15 gefangengenommene Arbeiter aus der Gemeinde Thal. Die politischen Morde wurden später von der Studentenschaft und der Leitung der Universität gebilligt. In einem der größten Justizskandale der jungen Weimarer Republik sprach ein Kriegsgericht die Täter frei.

Wir erinnern an die Morde von Mechterstädt und begreifen sie als Mahnung, jederzeit für Demokratie und Freiheit einzutreten.                  

Und so konnten wir auch heute wieder im Namen der Universitätsleitung einen Gedenkkranz niederlegen.

Und so freue ich mich, Ihnen nicht nur die herzlichen Grüße des Marburger Oberbürgermeisters Dr.Thomas Spies, sondern auch des gesamten Magistrats überbringen zu können.

Redaktioneller Hinweis
Zu Gunsten der Lesbarkeit sind Textabsätze und Zwischenüberschriften eingefügt.

 

 

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