

11.07.2025 (pm/red) Die Stadt Marburg prüft derzeit, ob sie durch einen Demonstrations-Aufruf und rufschädigende Äußerungen über die AfD das Neutralitätsgebot verletzt hat. Die Stadt reagiert damit auf einen Schriftwechsel mit einer anonymen Hinweisgeberin. Diese hatte mit Verweis auf ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts (- 2 BvE 1/16) Fragen zur Rechtmäßigkeit einer von der Stadt herausgegebenen Pressemitteilung aufgeworfen. In der strittigen Pressemitteilung vom 14. Mai 2025 rief ein von Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) initiiertes „Netzwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ zu einer
Gegendemonstration gegen einen „Bürgerdialog“ der AfD am 16. Mai 2025 auf. Zudem wird auf der von der Stadt herausgegebenen Website die AfD als „gesichert rechtsextremistische Partei“ bezeichnet.
Stadt unterläuft „Stillhaltezusage“
Die Bezeichnung „gesichert rechtsextremistisch“ stammt aus dem Sprachgebrauch des deutschen Innlandsgeheimdienstes („Bundesamt für Verfassungsschutz“, BfV). Doch diese Einstufung wurde von der Behörde im Rahmen einer „Stillhaltezusage“ am 8. Mai 2025 ausgesetzt, nachdem die
AfD beim Verwaltungsgericht Köln dagegen geklagt hatte.
Darf die Stadt Marburg einfach so diese Stillhaltezusage unterlaufen und sich die ausgesetzte Einstufung zu Eigen machen? Diese und andere Rechtsfragen müssen nun geklärt werden.
Stadt kündigt „sorgfältige Prüfung“ an
Der Magistrat hat nun angekündigt, der Fall werde „sorgfältig geprüft“. Abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung würden „entsprechende Maßnahmen eingeleitet, sollte sich dies als erforderlich erweisen“. Dies schrieb die Stadt in einer Antwort an die Hinweisgeberin und weitere Adressaten wie die Fraktionen des Stadtparlaments, Medien sowie den Landesverband der AfD.
Anonymität aus Angst vor Repression und Übergriffen
Unklar ist noch, wie die Marburger Oppositonsparteien mit diesem Fall umgehen werden. In einer Antwort an die Hinweisgeberin hatte der Fraktionschef der CDU/FDP/BfM-Fraktion Jens Seipp (CDU) eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Rechtsfragen verweigert. Er forderte die Hinweisgeberin auf, ihre Identität preiszugeben. „Alles andere ist nicht ernst zu nehmen“, schrieb Seipp. Ähnlich hatte sich danach auch die Stadtverwaltung geäußert.
Die Hinweisgeberin wiederum verweist auf die zahlreichen Meldeportale wie die vom Hessischen Innenministerium betriebene Meldestelle HessenGegenHetze, „in denen Bürger dazu motiviert werden, sich gegenseitig anzuzeigen – auch anonym.“ Dort habe sie den Fall bereits anonym gemeldet.
Im aktuellen vergifteten politische Klima wolle sie ihre Identität schützen, da Menschen mit abweichenden Meinungen berufliche Repression und Angriffe auf ihr Eigentum und ihre körperliche Unversehrtheit zu befürchten hätten. Sie zitierte dazu Presseberichte von Spiegel und Hessenschau über Angriffe auf Parteieinrichtungen, Wahlkampfhelfer und Autos, sowie die besonders in Marburg bei Linksextremisten beliebte Taktik der sogenannten „Outings“ (siehe Bericht des Hessischen Verfassungsschutzes 2023 ab Seite 167).
https://www.hessenschau.de/politik/bundestagswahl/vor-bundestagswahl-afd-wahlkampfhelfer-im-auto-verletzt-wohnhaus-beschmiert-v1,angriff-wahlkampf-helfer-100.html
Kosten-Risiko für die Stadt – ein Thema für die Opposition?
Auf die Stadt könnten im Falle eines Rechtsstreites mit der AfD beträchtliche Kosten zukommen: Gerichtskosten, Anwaltskosten sowie bei einer Niederlage evtl. sogar Schadensersatz. Da die Stadt Marburg derzeit in einer schwierigen finanziellen Lage ist, könnte sich die CDU aufgrund ihrer Oppositionsrolle dazu verpflichtet fühlen, dem Risiko der Verschwendung von Steuermitteln mit Anfragen und Anträgen im Stadtparlament nachzugehen.
Unterschiede zum Fall Malu Dreyer
Für eine rein interne Prüfung könnte das funktionieren, da es hier nur darauf ankommt, nach außen den Anschein zu wahren, man komme seiner Verpflichtung nach. Ob diese Argumentationslinie vor Gericht hält, ist jedoch aufgrund der Unterschiede der Sachverhalte zu bezweifeln.
Im Gegensatz zum Fall Malu Dreyer, der eine allgemeine Demonstration „gegen Rechts“ betraf, richtet sich die Marburger Pressemitteilung direkt gegen eine konkrete AfD-Veranstaltung und benutzt eine vom BfV ausgesetzte Einstufung als Rechtfertigung.
Wie reagiert die AfD?
Die strittige Pressemitteilung ist derzeit noch unverändert von der Website der Stadt abrufbar. Dies deutet darauf hin, dass die Stadt Marburg versucht, den Fall auszusitzen und darauf hofft, dass der Landesverband der AfD untätig bleibt. Sollte der Fall jedoch wegen Verletzung des Neutralitätsgebotes oder aufgrund rufschädigender Äußerungen vor Gericht gehen, könnte sich diese Strategie als Bumerang erweisen. Denn je länger eine rufschädigende Äußerung online ist, desto größer ist der verursachte Schaden und demensprechend die Höhe möglicher Schadensersatzforderungen. Auch der Vertrauensverlust in staatliche Institutionen wird größer, je länger die Stadt mögliche Rechtsverstöße fortsetzt.
Der Landesverband der AfD hat sich bisher nicht öffentlich dazu geäußert, ob er in diesem Fall gegen die Verletzung seiner Rechte vorgeht.
Anlage : Timeline
– 02.05.2025: BfV veröffentlicht Pressemitteilung mit Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“
– 08.05.2025: Stillhaltezusage des BfV
– 12.05.2025: OB Spies bedauert, Räume an AfD für Bürgerdialog vermieten zu müssen
– 14.05.2025: Pressemitteilung des Netzwerkrates
– 16.05.2025: „Bürgerdialog“ der AfD und Gegendemonstration
– 25.06.2025: Mail von Anna Anonyma an Stadtverwaltung mit 8 rechtlichen Fragen zur Pressemitteilung
– 26.06.2025: Antwort von Jens Seipp (CDU)
– 26.06.2025: Antwort von Anna Anonyma an Jens Seipp
– 27.06.2025: Antwort I der Stadtverwaltung
– 01.07.2025: Meldung der Pressemitteilung bei „HessenGegenHetze“
– 03.07.2025: Antwort von Anna Anonyma an Stadtverwaltung
– 08.07.2025: Antwort II der Stadtverwaltung
Redaktionelle Anmerkung
Die vorstehende Presseinformation von Anna Anonyma wird im Wortlaut mit den Verlinkungen in das Marburger. veröffentlicht.
Mit Beharrlichkeit und nicht geringer Kenntnis der Sachlage samt der juristischen Hintergründe kommuniziert Anna Anonyma, als anonym bleiben wollende(r) Bürger/in, Fragen zur „Oppositions-Bekämpfung mit Steuergeldern“ in Marburg. Sie will gewählte Mandatsträger, den Magistrat der Stadt Marburg „stellen“, oder anders zur Beschäftigung mit einer demokratischen Grundfrage, dem Neutralitätsgebot, veranlassen. Mit anhaltenden Einbringungen inklusive Hinweis auf die triftigen (Schutz-)Gründe zu der bedacht gewählten Anonymität gelingt es dieser ungewöhnlichen Initiative offenbar Verantwortliche zu einer Auseinandersetzung zu veranlassen.