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Positionen – Für eine Temporeduzierung auf der B3a

Marburg 28.1.2011 (red) Mit den Beitrag Für eine Temporeduzierung auf der B3a wird im Online-Magazin das-marburger.de zugleich eine neue Reihe eröffnet. Veröffentlicht wird ein Gastbeitrag, in diesem Fall von drei Personen. Alle Drei sind Aktive der Bürgerinitiative Stadtautobahn.

„Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und Pest.“ (Robert Koch , 1843-1919)

Gegen Lärm und Gestank – sofort!

Seit rund 40 Jahren belastet die Marburger Stadtautobahn in akuter und stetig zunehmender Weise das Leben in Marburg. Sie belastet erheblich die unmittelbaren Anwohnerinnen und Anwohner, im Bahnhofsviertel, in der Uferstraße, der Georg-Voigt-Straße und an vielen anderen Stellen. Sie belastet aber nicht nur die unmittelbar an die Autobahn angrenzenden Gebiete, sondern auch viele weiter abgelegene Bezirke. Die Topologie der Stadt mit der Autobahn im Tal und den eng angrenzenden Höhenzügen hat zur Folge, dass man der Autobahn praktisch nirgendwo entgehen kann.

Nicht nur im Tal, sondern auch und gerade in den höher gelegenen Stadtvierteln ist der ununterbrochene Lärm unerträglich – die schönen Wohnlagen des Ortenbergs mit dem wundervollen Blick auf das Schloss, der Schlossberg selbst wie aber auch der Wehrdaer und der Cappeler Hügel, alle sind überzogen von dem unablässigen Tosen und Brüllen von (im Innenstadtbereich) gegenwärtig zwischen 43.000 und 45.000 PKW und LKW täglich, die den Asphalt abreiben, die Luft mit akut gesundheitsschädigenden Schadstoffen belasten und das Leben mit Lärm verseuchen.

Die Stadtautobahn an der Lahn durchschneidet das Herz der Stadt. Wer es sich unter den herrschenden Umständen überhaupt noch zumutet, den (kurzen) Weg vom Ortenberg in die Innenstadt zu Fuß zurückzulegen, hat den Eindruck, durch ein Industriegebiet zu gehen. Die Stadtautobahn zerstört und entwertet die Lahnauen, das alte innerstädtische Erholungsgebiet und die eigentliche Frischluftschneise, und macht sie zu einer Aneinanderreihung von Gewerbegebieten. Wer auf die Idee kommt, die so schön renaturierten Lahnauen nun auch dazu zu nutzen, mit seinen Kindern dort Picknick zu machen, der kann das ebenso gut auf einer Autobahnraststätte tun; das Gleiche gilt leider für die Schülerinnen und Schüler etwa der Martin-Luther-Schule, in der im Sommer die Fenster während des Unterrichts praktisch nicht geöffnet werden können. Um beim Thema Schule zu bleiben: Selbst in Dierckes Schulatlas hat Marburg als Beispiel einer besonders problematischen Lärm- und Schadstoffbelastung im Zusammenhang mit Topographie und Verkehrsentwicklung ein trauriges Renommee erlangt: Schon auf Dierckes lehrreicher Karte aus dem Jahr 1985 zieht sich die Stadtautobahn als rotes Band von 70 db und mehr Lärmemission durch ein von starker bis deutlicher Luftverschmutzung überzogenes Stadtgebiet.

50-55 db ist übrigens der gesetzliche Richtwert für zumutbaren Lärm; aus medizinischer Sicht geht man aber von Gesundheitsschäden wie Stress, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Muskelverspannungen und Depressionen auch schon bei einer sich auf und sogar schon unter diesem Pegel bewegenden Dauerbelastung aus – ein Thema, das im Zusammenhang mit Lärmschutz- oder Lärmsanierungsmaßnahmen in und für Marburg bisher völlig unbeachtet geblieben ist.
Die Bürgerinitiative Stadtautobahn hat sich zum Ziel gesetzt, die mit der Stadtautobahn B3a einhergehenden und stetig weiter zunehmenden Beeinträchtigungen der Stadt und ihrer Bewohner/innen mit Nachdruck anzugehen. Ein erster Schritt dazu ist die Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h für PKW und 60 km/h für LKW – weitere und umfassendere Schritte müssen folgen.

Die Vorteile einer solchen Geschwindigkeitsreduktion liegen auf der Hand. Sie bringt nicht allein spürbare Lärm- und Immissionsminderungen mit sich, sondern auch beträchtliche Spriteinsparungen und damit auch eine deutliche Verringerung des schädlichen CO2 Ausstoßes.
Sie ist kurzfristig und so gut wie kostenfrei umsetzbar, ohne wesentliche Nachteile für die Autofahrer, denn:
Auf den 6 km Autobahn innerhalb des Stadtgebietes „verliert“ man bei der entsprechenden Temporeduktion rund 1 Minute Zeit, auf der gesamten Strecke vom neuen Anschluss im Süden bis zur Ausfahrt Nord dann insgesamt rund 2 Minuten. Die Kehrseite dieser – sicherlich erträglichen – Einbuße ist eine spürbare Einsparung an Benzin. Bei einem Verbrauch von 10 Litern/100 Km ergibt sich eine Einsparung von ca. 60 ml pro Strecke; nimmt man nur die (abgerundete) Zahl von täglich 41 000 Fahrzeugen pro Tag aus dem Jahr 2005 zur Grundlage – für das vorvergangene Jahr 2009 schätzt die Stadt bereits 45 000 bis 46 000 Fahrzeugbewegungen pro Tag (!) -, dann ergibt das pro Tag eine Gesamteinsparung von 2460 Litern, hochgerechnet aufs Jahr also insgesamt 897.900 Liter Sprit – die erstens pro Jahr weniger verbraucht würden und die zweitens in Form von Abgasen, Dieseldreck (wie auch dem zugehörigen Lärm) NICHT die Stadt Marburg belasten (für Berechnung und Anregung Dank an Heinz G. Teitge).

Natürlich fragt man sich, warum angesichts allein einer solchen Rechnung die seit Jahrzehnten immer wieder vorgebrachten Forderungen nach einer Temporeduktion auf 80 km/h und 60 km/h ebenso seit Jahrzehnten auf hartnäckigen Widerstand der Politik gestoßen sind.
Der ehemalige Oberbürgermeister Möller, CDU, hatte sich einer Geschwindigkeitsreduktion wiedersetzt, weil sie angeblich keine Verminderung des Autobahnlärms mit sich bringe und sich außerdem bei Tempo 80 die Unfallhäufigkeit erhöhe (selbst für leidenschaftliche Autofahrer eine erstaunliche Argumentation). Tatsächliche Messungen hat es allerdings nie gegeben, auch keine Kontrolle der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit. Der amtierende neue OB, Herr Vaupel, trat im Wahlkampf mit dem Versprechen an, endlich für die Geschwindigkeitsreduktion auf der Stadtautobahn zu sorgen. Nach der Wahl allerdings erfuhr man, dass diese Entscheidung gar nicht dem OB Marburgs, sondern dem Regierungspräsidenten in Gießen obliegt. Und der RP, zuletzt in Person des Herrn Dr. Witteck (CDU), blockiert die Geschwindigkeitsreduktion weiterhin mit Beharrlichkeit.

Das Argument, das Herr Dr. Witteck gegen eine Geschwindigkeitsreduktion ins Feld führt, gründet sich im Wesentlichen auf der Tatsache, dass es ja nicht erwiesen sei, ob eine entsprechende Geschwindigkeitsreduktion (von 100 Km/h auf 80 Km/h für PKW und von 80 Km/h auf 60 Km/h für LKW) wirklich die Minderung der Lärmemissionen um jene 3 Dezibel erbringen würde, die Lärmschutzmaßnahmen von Seiten des Bauträgers gesetzlich zwingend machen. Unsere Position dazu ist:

Weder der tatsächliche Lärm noch die tatsächlich mögliche Lärmreduktion sind eindeutig nachgewiesen. Die vom RP genannten Zahlen basieren allein auf Schätzungen und Hochrechnungen, zuverlässige Messungen und genaue Testwerte gibt es nicht, Angaben zu den erreichbaren Verminderungen der Abgasemissionen und zu den enormen Spriteinsparungen fehlen vollständig.
Das Argument, eine Temporeduzierung auf 80 km/h bzw. 60 km/h sei leider nicht dazu geeignet, die Lärmbelastung um (wenn man sie denn partout zum Maß aller Dinge machen will) 3db zu reduzieren, kann nicht zur Folge haben, auf sie als auf eine der ersten möglichen Maßnahmen zur Lärmminderung nun gleich ganz zu verzichten. Vielmehr kann die Konsequenz nur sein, das Tempo dann eben soweit zu reduzieren, bis eine wirkungsvolle Lärmreduktion erreicht ist. Das wiederum kann nicht anders denn durch seriöse Messungen und Verkehrsversuche vor Ort festgestellt werden, die wir sofort und mit Nachdruck fordern. Auch hier gilt außerdem, dass die objektiven Ergebnisse gleichzeitig mit den subjektiven Lärmempfindungen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger abgeglichen werden müssen und ausdrücklich die Perspektive der Betroffenen zu berücksichtigen ist.

Die Marburger Bürgerinnen und Bürger sind zudem außerordentlich verwundert darüber, wie unterschiedlich verschiedene Verwaltungsbehörden und Politiker mit Bürgerinnen- und Bürgerinteressen umgehen. Auf der B3 wurden – nach Bürgerprotesten freilich – endlich Einschränkungen zumindest für den LKW-Verkehr eingeführt, das Durchfahrtstempo in den Ortschaften nördlich von Marburg erst kürzlich in der Nacht auf Tempo 30 km/h heruntergesetzt. In Marburg, das von einer beträchtlich größeren täglichen (und nächtlichen) Verkehrsbelastung heimgesucht wird, tut sich nichts – weniger als nichts muss man sagen, denn der Verkehr mitsamt Lärm- und Abgasbelastung nimmt derweil beständig zu.
Vor allem verwundert an der hartnäckigen Verweigerung des RP, dass mit einer Geschwindigkeitsreduktion (zumal dieses geringen Umfangs) praktisch keine Nachteile verbunden sind. Umgekehrt liegen aber vielfache Erfahrungen der Marburger Bürgerinnen und Bürger vor, die von einer erheblichen Verminderung der Lärmbelästigung etwa dann berichten, wenn wegen Baumaßnahmen oder Schnee das Tempo auf der Stadtautobahn tatsächlich einmal reduziert worden ist.

Vor dem Hintergrund der genannten Argumente fordert die ´Bürgerinitiative Stadtautobahn´ nachdrücklich die Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Stadtautobahn von 100 km/h auf 80 (bzw. 70) Km/h für PKW und auf 60 (bzw. 50) km/h für LKW – und zwar nicht nur nachts, sondern 24stündig, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Es gibt keine stichhaltigen Gegenargumente. Wir sind davon überzeugt, dass jeder vernünftige Mensch bei Abwägung der genannten Tatsachen zu dieser Schlussfolgerung kommen muss. Wir vermuten, dass diejenigen, die sich bislang einer Geschwindigkeitsreduktion widersetzt haben, mit den lokalen Gegebenheiten zu wenig vertraut waren – das lässt sich unschwer ändern.

Eine Argumentation, deren Logik seit Jahrzehnten immer wieder darauf hinausläuft, dass es erst noch sehr viel schlimmer werden, der Verkehr erst nochmals um das Doppelte ansteigen müsse, bevor irgend etwas Verbesserndes getan werden könne, ist weder einer verantwortungsvollen Lokalpolitik noch einer überregionalen Verwaltungsbehörde würdig. Zudem gilt: Verwaltungsgesetzliche Vorgaben, wonach die Lärmverminderung 3 db betragen „muss“, um Lärmschutzmaßnahmen „gesetzlich zwingend“ erforderlich zu machen, bedeuten ja nicht, dass jenseits dieser Vorgaben im Interesse der Bürgerinnen und Bürger solche Maßnahmen etwa nicht ergriffen werden KÖNNTEN. „Richtlinien“ wie jene, auf die sich der RP in seiner Ablehnung jeder Lärmschutzmaßnahme für Marburg beruft, sind auslegbar, wie selbst das Bundesverwaltungsgericht in besonderen Fällen bestätigt (Entscheidung des 9. Senats vom 7.3.2007, Az. 9 C 2/06 für die, die es nachlesen wollen). Wir sind sicher und erwarten, dass ein RP, der sich ausdrücklich und wiederholt Bürgernähe und die Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger auf seine Fahnen geschrieben hat, seinen Worten nun auch Taten folgen lassen und die bestehenden Verordnungen zugunsten der Betroffenen auslegen wird.

Post Scriptum Der Vertreter des RP Gießen hat mit seiner oben erwähnten und bei der Podiumsdiskussion vom 25. Januar 2011 lediglich noch einmal wiederholten Argumentation nicht überzeugen können. Auch seine Anregung, doch damit erst einmal die auf Mitte 2011 verschobene Verkehrszählung abzuwarten, ist inakzeptabel. Gerade angesichts der bei der Podiumsdiskussion überdeutlich gewordenen besonderen Situation Marburgs wäre es ein Zeichen von Bürgernähe und Weitsicht der Regierenden in Wiesbaden wie auch des RP in Gießen, umgehend und noch vor den Kommunalwahlen den von der BI sowie am Ende der Podiumsdiskussion von OB Vaupel (SPD), dem OB-Kandidaten Bürgermeister Dr. Kahle (Bündnis 90/Die Grünen) und dem OB-Kandidaten Becker  (Marburger Bürgerliste) mit überzeugender Begründung geforderten Temporeduzierungsversuch samt Überwachung und Kontrollen anzuordnen. Dies nicht zu tun, heißt im Klartext, dass die Marburger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens ein bis zwei weitere Jahre auf Abhilfe für einen schon jetzt unzumutbaren Zustand warten müssen, denn alleine Durchführung und Auswertung einer Mitte 2011 vorzunehmenden Zählung – für deren Verschiebung die Marburger Bevölkerung nun wahrhaftig nicht verantwortlich ist – werden erheblich dauern. Die BI wird dies nicht hinnehmen und in absehbarer Zeit mit weiteren Maßnahmen und Aktionen gegen derartige Hinhaltetaktiken protestieren.

Es bleibt bei dem Zitat von Robert Koch – Lärm und Gestank bleiben wie Cholera und Pest unerbittlich zu bekämpfen.

Anne Maximiliane Jäger-Gogoll, Hannes Kleinhenz, Ulrich Wagner     Marburg im Januar 2011

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