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Die 22 Thesen zur Krise des UKGM

Marburg 15.4.2012 (pm/red) Im Namen aller Klinikdirektoren an den Standorten Giessen und Marburg haben Prof. Hans-Peter Howaldt, Gießen, und Prof. Dr. Hinnerk Wulf, Marburg, als gewählte Sprecher der Klinikdirektorenkonferenz am 28. März Stellung bezogen. Von einer ‚Konferenz der Universitäts-Klinikdirektoren in Giessen und Marburg‘ sind ’22 Thesen zur Krise des Universitätsklinikums Giessen & Marburg‘ zur Veröffentlichung vorgelegt worden. Den Betrachtungen und Einschätzungen dieser obersten Mediziner am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) kommt in mehrfacher Hinsicht Bedeutung zu. Es ist wohl ein bisher einmaliger Schritt der verantwortlichen Mediziner gemeinsam in die Öffentlichkeit zu treten. Dabei lassen die Professoren keinen Zweifel an ihrer Verbundenheit und Loyalität aufkommen, auch nicht im Verhältnis zum Umgang mit der Privatisierung der Unikliniken. Doch nunmehr haben für die Direktoren Entwicklungen stattgefunden, die sie veranlassen mit der Krise offensiv umzugehen. Dies gipfelt in der von ihnen aufgeworfenen Frage, ob die Privatisierung als gescheitert zu betrachten sei.
das Marburger. dokumentiert nachfolgend die 22 Thesen der Kliniksdirektoren:

1. Die vom Land Hessen im Jahre 2005 verfügte Zusammenlegung der Uni-Kliniken
Gießen und Marburg wurde von uns zwar nicht gewollt, sie wird aber seitdem positiv
im Sinne der strukturierten Kooperation inhaltlich gelebt.

2. Mit der Privatisierung der Universitätskliniken Gießen und Marburg war die Hoffnung
verbunden, den Investitionsstau zu überwinden und so die Zukunftsfähigkeit der
Universitätskliniken in Mittelhessen zu sichern.

3. In den sechs Jahren der Privatisierung haben wir zahlreiche Umstrukturierungen und
Optimierungen der Abläufe erlebt, die zu einer erheblichen Verdichtung der Arbeit im
ärztlichen und auch im pflegerischen Bereich geführt haben.

4. Zusammen mit einer stetigen und im Bundesdurchschnitt überdurchschnittlichen
Leistungssteigerung wurde das wirtschaftliche Ergebnis beginnend mit einem Minus
von jährlich € 20 Mio. allein in Gießen und „schwarzer Null“ in Marburg auf ein
Plusergebnis von Gießen und Marburg zusammen von € 18 Mio. im Jahre 2011
signifikant verbessert. Dieses gute Ergebnis ist trotz der im gleichen Jahr
angesetzten Zins- und Abschreibungslast zustande gekommen.

5. Die Steigerungen im Leistungsumfang und in der Effizienz, gerade in den letzten
Jahren, sind Ergebnis einer intensiven, konstruktiven Zusammenarbeit der
kaufmännischen Geschäftsführung vor Ort mit den Leistungsträgern im ärztlichen und
pflegerischen Bereich an beiden Standorten.

6. Schon vor dem Jahreswechsel 2011/2012 zeichnete sich ein Wandel in diesem
konstruktiven Miteinander ab, in dem eine de facto Stellen- und Investitionssperre
praktiziert wurde, ohne dass eine offene Kommunikation über geänderte Vorgaben
seitens der Rhön-Klinikum AG statt fand.

7. Ursächlich ist offensichtlich ein Geschäftsmodell der Rhönklinikum-AG mit einem
hohen Finanzierungsbedarf (10% / a.) für Zins und Abschreibung aller getätigten
Investitionen, der von den Unikliniken durch stetige Erlössteigerung vollumfänglich
selbst finanziert werden muss. Selbst die von der Rhön-Klinikum AG übernommene
Verpflichtung, € 30 Mio. in Forschung und Lehre zu investieren, soll sich auf diese
Weise aus dem Erlös der Krankenversorgung amortisieren.

8. Der hieraus ab dem Jahr 2012 greifende Bedarf an Zinsaufwendungen und
Abschreibungen in Höhe von ca. € 40 Mio. pro Jahr ist nicht im Rahmen eines
geordneten Betriebes einer Universitätsklinik zu erwirtschaften!

9. Daneben besteht ein nicht weiter aufzuschiebender Investitionsstau vor allem in Form
von umfangreichen Sanierungsmaßnahmen im ersten Bauabschnitt in Marburg, in
der Dermatologie, Augenklinik, theoretisch-klinischen Instituten in Giessen sowie in
den Psychiatrien an beiden Standorten. Hieraus ergeben sich weitere Belastungen in
Höhe von über € 100 Mio.

10. Zudem sind in den letzten Jahren unter Verweis auf die laufenden Baumaßnahmen
kaum Investitionen in medizinische Geräte erfolgt, so dass auch diesbezüglich ein
größerer Investitionsstau besteht.

11. Der im Kooperationsvertrag vorgesehene dauerhafte Verzicht auf eine Bauförderung
durch die öffentliche Hand  erweist sich als Fehleinschätzung der Rhön-Klinikum AG,
da dieser Wettbewerbsnachteil gegenüber allen anderen Universitätskliniken nicht
kompensiert werden kann.

12. Der von der Rhön-Klinikum AG zu Jahresbeginn aufgezeigte Weg zur wirtschaftlichen
Sanierung durch einen relevanten Stellenabbau könnte nur durch eine Reduktion des
Leistungsangebotes und ein vermindertes Qualitätsniveau erreicht werden.

13. Die Ärzteschaft am UKGM fühlt sich geschlossen verpflichtet, breite universitäre
Spitzenmedizin ohne Qualitätsabstriche zu erbringen, wie sie auch von allen anderen
Universitätskliniken in Deutschland praktiziert wird.

14. Eine Reduktion des Leistungsumfangs am UKGM wäre aus Sicht der hier tätigen
Ärzteschaft kontraproduktiv, es würde dem Ruf der drittgrößten Universitätsklinik in
Deutschland schaden und darüber hinaus zu Mindererlösen und damit noch weiter
erhöhtem wirtschaftlichen Druck führen.

15. Aus ärztlicher Verantwortung für die uns anvertrauten Patienten heraus können
weder Umfang noch Qualität der Krankenversorgung reduziert werden („Primat der
Krankenversorgung“).  Daher bliebe als Ausweg bei einer tatsächlich praktizierten
Stellenreduktion nur die noch stärkere Quersubventionierung von
Personalressourcen aus Forschung und Lehre in die Krankenversorgung, was gegen
den Geist des Kooperationsvertrages verstoßen und einen Missbrauch hessischer
Steuergelder darstellen würde.

16. Durch die in den letzten sechs Jahren praktizierte Arbeitsverdichtung im ärztlich-
wissenschaftlichen Bereich ist ein Miteinander von universitärer Krankenversorgung
sowie Lehre und Forschung entsprechend der tatsächlichen Mittelzuweisungen und
im Sinne des Kooperationsvertrages bereits jetzt sehr stark gefährdet. Dies kann mit
zahlreichen Beispielen belegt werden.

17. Die öffentliche Wahrnehmung des UKGM war gerade am Standort Marburg über
Jahre hinweg negativ geprägt und konnte im Jahr 2011 durch die örtliche
Geschäftsführung über einen neuen Kommunikationsstil mit Zuweisern, Betriebsrat
und Medien deutlich verbessert werden. Es ist den Klinikdirektoren unverständlich,
warum man derzeit mit einer nach innen und außen gerichteten schlechten
Kommunikation den guten Ruf des UKGM in abträglicher Weise gefährdet.

18. Die seit Jahresbeginn erlebte Krise des UKGM zeigt sich als ein offener
Interessenskonflikt zwischen den Renditeerwartungen der Rhön-Klinikum AG und
dem Bestreben der hier tätigen Mediziner und Pflegenden zu einer
qualitätsorientierten Hochleistungsmedizin. Dies kann kurzfristig, d. h. innerhalb
Jahresfrist zu erheblichen Nachteilen durch Weggang von Kompetenzträgern auf
verschiedenen Ebenen oder einem Ausbleiben von Neuberufungen führen mit einem
Schadenspotential, welches (wenn überhaupt) nur mühsam und über viele Jahre
ausgeglichen werden kann.

19. Es stellt sich die Frage, ob das Projekt der Privatisierung einer Universitätsklinik
durch ein börsennotiertes Unternehmen nach guten Anfangserfolgen nunmehr als
gescheitert anzusehen ist oder ob eine Veränderung des Geschäftsmodells der
Rhön-Klinikum AG, z. B. im Sinne eines Ansatzes erreichbarer Renditevorgaben das
gesamte Projekt doch noch auf den Erfolgsweg zurückbringen kann. Die hohe
Fluktuation in der kaufmännischen Geschäftsführung des UKGM mit der jetzt
erfolgten 15. und 16. Berufung eines Geschäftsführers innerhalb von 6 Jahren ist
Ausdruck  von nachhaltig unrealistischen Vorgaben hinsichtlich erreichbarer
wirtschaftlicher Ergebnisse.

20. Das nicht erkennbare Bemühen um eine konstruktive Zusammenarbeit der Rhön-
Klinikum AG mit der derzeitigen kaufmännischen Geschäftsführung des UKGM stößt
auf absolutes Unverständnis der gesamten Ärzteschaft in Gießen und Marburg. Die
aktuellen Leistungssteigerungen sind ganz wesentlich auch das Verdienst der
bisherigen Amtsträger an beiden Standorten.

21. Die Entwicklung am UKGM wird von den Klinikdirektoren beider Standorte mit großer
Sorge gesehen, weil schon jetzt eine zunehmende Verunsicherung bei unseren
Patienten erkennbar ist. Auch potentielle Bewerber aus den Reihen der umworbenen
jungen Ärztinnen und Ärzte wenden sich vom UKGM ab. Ferner spüren die
Studierenden eine Gefährdung ihrer Ausbildung. Den in Gießen und Marburg
Forschenden entzieht sich die solide Basis und Perspektive für ihre wissenschaftliche
Tätigkeit.

22. Da ein Scheitern des Projektes im Raum steht, sollte eine Alternative, z. B. die
Rückführung der Privatisierung sehr rechtzeitig geprüft werden, bevor durch
Rufschädigung und Weggang von Kompetenzträgern ein schwer wieder gut zu
machender Schaden entstanden ist.

Giessen und Marburg, den 28.März 2012
Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Howaldt   Prof. Dr. Hinnerk Wulf
Sprecher am Standort Giessen       Sprecher am Standort Marburg

Seitdem ist die Entwicklung weitergegangen. Dazu gehört ein erneuter Personenwechsel in der Geschäftsführung des UKGM. Das Land Hessen versucht weiter auf eine Mediation zu setzen. Doch das Scheitern des Modells beruhend auf der Unmöglichkeit der Vereinbarkeit von universitärer Hochleistungsmedizin mit Forschung und Lehre und zugehöriger Versorgung der Patienten mit hochgeschraubten Renditeerwartungen der Aktiengesellschaft Rhön Klinikum lässt sich nicht weg reden oder beiseite schieben.

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