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Zwischen Kindsmord und Babyklappe – Forschungen zum Neonatizid als Buchveröffentlichung vorgestellt

Marburg 10.10.2012 (yb) Heute eröffnet die Buchmesse in Frankfurt mit über 7.000 beteiligten Ausstellern/Verlagen. Hunderte, Tausende Autoren reisen in die Mainstadt, dazu Literaturagenten, Lektoren und Verleger. Hunderttausende Besucher werden wieder erwartet und allen voran marschieren die Vertreter des Feuilletons zu ihrer Hochzeit. Gestern wurde in Marburg ein Buch vorgestellt. Der Verlag, die Herausgeberin, Forscherin und Autorin hatten in das Institut für Europäische Ethnologie eingeladen, um einen 96 Seiten schmalen Band mit historisch und aktuell ebenso schwierigem wie brisantem Thema – und zugleich weiterhin noch zu durchforschendem Themen- und Problemkomplex – vorzustellen. Der Marburger Jonas Verlag präsentiert zur Buchmesse den von Prof. Marita Metz-Becker herausgegebenen und aus ihren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten aktuell aufgenommenen Band ‚Kindsmord und Neonatizid – Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Geschichte der Kindstötung‘. Gewissermaßen gegen dem Trend unserer Zeit zu nahezu jedem Thema einen Kriminalroman zu verfassen und ebenso lesepopulär wie verkaufsträchtig zwischen Buchdeckeln zu verpacken und zu vermarkten, haben sich hier eine Wissenschaftlerin und ein Verlag zusammengetan, um mutig zum frühen Zeitpunkt – weil nach Beginn von Forschungsarbeiten auch am Beginn von Erkenntnisprozessen – einen qualifizierten Einblick zu geben in das sehr schwierige, tabuisierte und verfemte Thema des Kindsmord.

Marita Metz-Becker berichtete von einer „kleinen Anschubfinanzierung“, die ein Symposium zum ‚Kindsmord und Neonatizid‘ im vergangenen Jahr möglich gemacht habe. Dieses hat im Staatsarchiv Marburg stattgefunden, von dem damit die äußeren Rahmenbedingungen einer wissenschaftlichen Tagung zur Verfügung gestellt wurden. Zugleich ist das Hessische Staatsarchiv Marburg (StaMa) am Friedrichsplatz Träger und Bewahrer des Wissens um die historische Dimension des Themenfeldes. In den kilometerlangen Regalböden des StaMa finden sich über 100 Aktenvorgänge, worin sich Kindsmord in der Vergangenheit verhandelt und dargestellt findet. Herausgeberin Metz-Becker konnte also in einem ersten Schritt ihrer Arbeit einladen zum wissenschaftlichen Austausch an den Ort der Forschungen selbst. So gibt es den von ihr verfassten Beitrag ‚Kindsmord in Marburg. Fallbeispiele aus hessischen Kriminalakten des 19. Jahrhunderts.‘ Damit wissen wir also bereits, dass das Problemfeld eines für die Justiz geworden ist.

Dass es sich zugleich keinesfalls um eine (verkürzende) kriminal- und rechtsgeschichtliche Betrachtung alleine handelt, was nunmehr einer breiteren Leserschaft zur Lektüre angeboten ist, weist das Inhaltsverzeichnis des Bandes aus. Drei weitere Beiträge über ‚Kindsmord in der Geschichte‘ finden sich als Abschnitt zusammen gestellt. Eva Labouvie, Magdeburg schreibt über ‚Kindsmord in der frühen Neuzeit. Spurensuche zwischen Gewalt, verlorener Ehre und der Ökonomie des weiblichen Körpers‘. Jürgen Schlumbohm, Göttingen, berichtet über ‚Findel- und Gebärhäuser als Mittel gegen den Kindsmord: Debatten und Praktiken im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert‘. Die historische Annäherung schließt mit Julia Langenberg, Marburg: ‚Findelkinder in Mainz – nützlich oder teuer? Bevölkerungspolitik in der Franzosenzeit 1798 – 1812‘.

Als zweiten Abschnitt präsentiert die Neuerscheinung unter ‚Neonatizid heute  – prophylaktische Maßnahmen‘ mehrere Berichte und Stellungnahmen von Institutionen, die sich als Hebamme, Gleichstellungsbeauftragte, Sprecherin für ‚Pro Familia‘ und den ‚Sozialdienst katholischer Frauen‘ einschlägig in der Beratung Betroffener (Frauen) engagieren und in ein Podiumsgespräch eingebracht haben. Damit leistest das ebenso schmale wie ambitionierte Buch einen durchaus breiten Einstieg mit viel historischer Orientierung und Grundlageninformation. Es spannt zugleich einen Bogen in aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion um Sinn und Funktion etwa einer Babyklappe. Dass der seit Jahrhunderten existente Vorläufer Babylade oder einfach Lade (in einem Findelhaus) genannt wurde, wird Lesern ebenso mitgeteilt, wie in Illustrationen vor Augen geführt.

Überhaupt präsentiert sich der avancierte Band in hohem Maße illustriert und damit anschaulich gemacht, dazu quellenorientiert. So begegnen zahlreiche Werke von Künstlern, die Kindsmord oder eine ‚Kindmörderin‘ als Werk geschaffen und hinterlassen haben. Auch darin zeigt sich die interdisziplinäre Herangehensweise und das Forschungsverständnis der Herausgeberin, die bei der Buchvorstellung zugleich auf „ein notwendiges multikausales Begreifen der Motive und Phänomene“ verwiesen hat.
Im Gespräch über die neue Publikation von Marita Metz-Becker wurde schnell anschaulich, dass die Marburger Professorin in dem Themengebiet ganz und gar zu Hause ist, hat sie doch ihre Habitilationsschrift und weitere Veröffentlichungen über die ‚Medikalisierung schwangerer Frauen‘ und ‚Patientinnen der Marburger Accouchieranstalt‘ vorgelegt.

Leseinteressierte bekommen mithin druckfrisch zur Buchmesse eine tiefschürfende und spannende Buchveröffentlichung vom heimischen Jonas Verlag ohne zur Messe reisen zu müssen. Fragen sie ihre Buchhändlerin oder ihren Buchhändler. Forschungs- und wissenschaftsgeschichtlich Interessierte dürfen gespannt sein, was die Marburger Professorin als Forscherin noch auf die Beine stellt, um die vielen offenen Fragen und Betrachtungsweisen nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Gegenwartsbezüglichkeit weiter voran zu bringen.
Marita Metz-Becker (Hg)
Kindsmord und Neonatizid. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Geschichte der Kindestötung
17 x 24 cm, 96 Seiten mit 42 Abbildungen, broschur
Jonas Verlag ISBN 978-3-89445-469-2
Ladenpreis 15 Euro

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