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Mit alten Mitteln die neue Krise meistern? – Forschung zu Sicherheitstechniken in der Coronavirus-Pandemie

Kassel 17.06.2020 (pm/red) Quarantäne, Tracing, Ausweispflicht oder Grenzkontrollen – in der aktuellen Coronavirus-Pandemie kommen zahlreiche Sicherheitstechniken zum Einsatz. In der Reihe „Sicherheit in der Krise“ erfassen Forscherinnen und Forscher gegenwärtige Maßnahmen und analysieren diese in ihrer historischen Tiefendimension. Initiiert und kuratiert wird die Reihe vom Sonderforschungsbereich/Transregio 138 „Dynamiken der Sicherheit“, der an der Philipps Universität Marburg und der Justus-Liebig-Universität Gießen angesiedelt ist.

Bislang sind zehn Artikel auf dem sozialwissenschaftlichen Internetportal Soziopolis erschienen. Der aktuelle Beitrag von Prof. Dr. Eckart Conze vom Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Universität Marburg widmet sich Dynamiken der Renationalisierung und Reterritorialisierung, die durch die Corona-Krise verstärkt werden.

„Wir erleben derzeit eine Krise der Sicherheit – im doppelten Sinne“, sagt Prof. Dr. Thorsten Bonacker, der die Reihe „Sicherheit in der Krise“ gemeinsam mit Prof. Dr. Sven Opitz initiiert hat. Zum einen komme ein breites Repertoire an Sicherheitstechniken zum Einsatz, das weit über eingespielte Praktiken des Gesundheitsschutzes hinausreiche. „Denn viele Menschen sind nicht nur um ihre Gesundheit besorgt. Es geht hier auch um Lieferketten oder Infrastrukturen – man denke nur an die Hamsterkäufe vieler Bürgerinnen und Bürger zu Beginn der Pandemie.

Die derzeitigen Maßnahmen haben nicht nur die Unversehrtheit des menschlichen Körpers als Ziel, sondern decken vielschichtige Aspekte ab“, sagt Bonacker. Zum anderen erweisen sich in Krisenzeiten althergebrachte Sicherheitstechniken als unzureichend, defizitär oder reformbedürftig.

„Quarantäne gab es bereits im 14. Jahrhundert – als die Pest Millionen Menschenleben forderte, wurden Bürgerinnen und Bürger unter Hausarrest gestellt und Schiffe im Verdachtsfall nicht in den Hafen gelassen“, ergänzt Opitz. „Das sind keine neuen Verfahren, aber wir beobachten neue Effekte.

Ein Beispiel: Der eigene Wohnraum muss im Zuge der Quarantäne wieder Funktionen erfüllen, die er in einem längeren historischen Prozess eigentlich längst abgegeben hatte, wie Vorratshaltung, Erwerbsarbeit oder Bildungsaufgaben in Form von Home Schooling“, erläutert Opitz.

Diese komplexen Zusammenhänge leuchten die Forscherinnen und Forscher in der Beitragsreihe aus. Dabei fragen sie sich: Mit welchen Repertoires und Heuristiken wird aktuell (Un)Sicherheit produziert? Welche Wissensformen und Problematisierungen werden wirkmächtig, was gilt als praktikable Lösung und legitime Expertise? Was sind die entscheidenden Räume und Temporalitäten der Sicherheit? Wo endet Sicherheit, was erscheint als nicht sicherheitsrelevant? Und welche historischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten lassen sich bei alldem beobachten?

Im aktuellen Beitrag widmet sich Prof. Dr. Eckart Conze in historischer Perspektive dem Zusammenhang von Sicherheit, Unsicherheit und souveräner Herrschaft. Was ist erlaubt, was nicht? Wer bestimmt die Regeln und mit welchem Recht? „Die Unsicherheit wächst, auch im Alltag, in der Familie“, sagt Conze. Steigt das Sicherheitsbedürfnis der Menschen, besinnen sich viele Regierungen offensichtlich wieder zurück auf den Nationalstaat und beanspruchen dessen Souveränität zurück. „Es ist deutlich zu erkennen, dass die sicherheitsbezogene Handlungsfähigkeit vor allem dem Nationalstaat und nicht übernationalen Verbünden zugeschrieben wird“, sagt Prof. Dr. Eckart Conze.

„Diese Effekte sind nicht neu, nehmen wir den Brexit als jüngstes Beispiel. Aber die Coronavirus-Pandemie scheint dem territorialen und dadurch nationalen Rollback neue Schubkraft zu geben“, ergänzt Conze. In seinem Beitrag „Ohne Sicherheit keine Souveränität?“ widmet er sich diesen Effekten, die über reine Grenzschließungen hinaus gehen, und beleuchtet den historischen Kontext von Souveränitätsvorstellungen sowie deren Zusammenhang mit Dynamiken der Sicherheit.

Weitere Themen sind unter anderem der Solidaritätsbegriff, der – aus einem anderen Diskurszusammenhang stammend – von der derzeitigen Sicherheitslogik überformt wird, das ambivalente Bild der Sicherheitsversprechen digitaler Technologien und Infrastrukturen, Abstandsregeln, die den sozialen Normalfall in Ordnungswidrigkeiten verformt, die Sicherung von religiöser Autorität oder Positionen im wirtschaftlichen Wettstreit durch Quarantänepraktiken oder auch die Rolle von Computersimulationen hinsichtlich politischer Entscheidungen in der Coronavirus-Pandemie.

Alle bisherigen Beiträge:

  • Thorsten Bonacker: „Solidarität als Sicherheitsformel“ (8. April 2020)
  • Horst Carl: „Pandemie und Hexenverfolgung als Versicherheitlichung“ (16. April 2020)
  • Andreas Langenohl / Carola Westermeier: „Die Sicherheitsversprechen digitaler Technologien“ (23. April 2020)
  • Andrea Wiegeshoff: „Quarantäne als Sicherheitsrepertoire“ (30. April 2020)
  • Sven Opitz: „Luftsicherheitszonen und Atmosphären des Selbst“ (6. Mai 2020)
  • Inken Schmidt-Voges: „#Stay@home als ambivalentes Sicherheitskonzept“ (13. Mai 2020)
  • Carolin Mezes: „(Nicht-)Wissen und (Un-)Sicherheit in der Pandemie“ (20. Mai 2020)
  • Christoph Kampmann / Christian Wenzel: „Von der Seuche der Häresie zur Unsicherheit des Staates“ (27. Mai 2020)
  • Jens Hälterlein: „Die Simulation der Pandemie“ (3. Juni 2020)
  • Eckart Conze: „Ohne Sicherheit keine Souveränität?“ (16. Juni 2020)

Alle Beiträge sind online abrufbar.

 

 

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